Vom Ausländerhaß zum Autodiebstahl

Der Kanzler verurteilt in der Haushaltsdebatte die mörderischen Anschläge von Mölln und erinnert an Beitrag der Ausländer zum Wirtschaftswachstum/ SPD für mehr Polizei  ■ Aus Bonn Hans-Martin Tillack

Die Woche, die den Morden von Mölln folgte, ist auch für den Kanzler eine „Woche der Nachdenklichkeit“. Denn diese Woche, so Helmut Kohl gestern in der Haushaltsdebatte des Bundestages, erinnere ihn an das Zehn- Punkte-Programm zur deutschen Einheit, das er vor exakt drei Jahren vorgelegt hatte. Etwas später in seiner fast zweistündigen Rede kam Kohl dann auch auf den „mörderischen Brandanschlag von Mölln“ zu sprechen. An die Adresse der sechs Millionen Ausländer in Deutschland gerichtet, sagte er: „Wir vergessen niemals, daß wir sie selbst hierhergeholt haben.“ Eine Summe von jährlich 230 Milliarden Mark und damit neun Prozent des Bruttosozialprodukts würde von ihnen erwirtschaftet. Jedem, der dem „tumben, dummen Ausländerhaß“ nachhänge, müsse man sagen, daß ohne Ausländer „sein Wohlstand gar nicht möglich gewesen wäre“.

Den Brandanschlag von Mölln wertete Kohl jedoch nicht als Zeichen eines wachsenden Rechtsextremismus, sondern als „bedrückendes Signal für die Zunahme von Gewalt in unserem Land“. Die Erosion des Rechtsbewußtseins ermutige Rechts- wie Linksextremismus: „Ich lege Wert auf beides.“ Das Gewaltmonopol des Staates, so Kohls implizite Drohung auch an Ralph Giordano und andere zur Selbstverteidigung entschlossene Juden, dürfe von niemandem angetastet werden: „Wer dies versucht, muß die ganze Härte des Staats zu spüren bekommen.“ Die „gewisse bange Frage, ob unser Staat ein starker, freiheitlicher Rechtsstaat ist“, nutzte der Kanzler, um nahtlos zur wachsenden Zahl von Autodiebstählen überzugehen.

Der CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Schäuble hatte zuvor gefordert, die Gesetze zu verschärfen und der Polizei wirksamere Instrumente im Kampf gegen Extremismus und Radikalismus in die Hand zu geben. FDP-Fraktionschef Hermann Otto Solms befand, die Bundesrepublik stehe vor der größten Bewährungsprobe ihres Bestehens. Es genüge aber, wenn die bestehenden Gesetze konsequent angewendet würden.

Eine bessere Personalausstattung von Polizei und Verfassungsschutz forderte der SPD-Fraktionschef Hans-Ulrich Klose. Es sei aber nicht allein Aufgabe der Politik, Antworten auf die Gewalt zu finden.

Als einziger Redner erwähnte Wolfgang Ullmann (Bündnis 90/ Grüne) neben den „Flammen von Mölln“ auch die „Blutspur von Berlin“ und damit den Mord an dem 27jährigen Hausbesetzer Silvio Meier. PDS-Chef Gregor Gysi rief die Gewerkschaften zu einer 15minütigen Arbeitsniederlegung auf, nachdem die rechte Gewalt in diesem Jahr bereits 18 Tote gefordert habe. Der Bundesregierung warf er vor, mit der „immer schärfer werdenden Debatte“ über das Asylrecht ein ausländerfeindliches Klima erst zu schaffen.

Anders als noch in der Debatte zur ersten Lesung des Haushalts vor zwei Monaten, in der Finanzminister Theo Waigel (CSU) an erster Stelle seiner Einsparvorschläge die Kosten für Flüchtlinge genannt hatte, hielten sich die Regierungspolitiker gestern mit Äußerungen zum Asylrecht zurück. Ausführlich setzte sich Kohl statt dessen mit der Wettbewerbsfähigkeit des Industriestandorts Deutschland auseinander. Im Genehmigungsrecht, Kohl erwähnte speziell die Gentechnik, müsse die Republik „Ballast abwerfen“.

Das Hochschulsystem müsse effizienter, die Schulzeit in Westdeutschland verkürzt werden. Dringend nötig sei ein Konzept zur Erhaltung der industriellen Kerne in Ostdeutschland. Es müsse gemeinsam mit Gewerkschaften, Arbeitgebern, Treuhand und den betroffenen Landesregierungen erarbeitet werden. Fraktionschef Schäuble forderte indirekt Kürzungen von Sozialleistungen. Die Sozialhilfe gewährleiste heute ein „relativ üppiges“ Existenzminimum, behauptete der Politiker. Die „Fehlsteuerung im sozialen System“ führe dazu, daß Menschen „sich schwer tun, eine Arbeit anzunehmen“. Das gelte auch in Ostdeutschland.

Zu deutschen Militäreinsätzen im UNO-Auftrag meinte Schäuble, schon heute erlaube es das Grundgesetz, die Soldaten loszuschicken. Eine „verfassungspolitische Klarstellung“ mit den Stimmen der SPD sei zwar wünschenswert. Die CDU mache dies jedoch „nicht um den Preis einer dramatischen Einschränkung der Handlungsmöglichkeiten der Bundesrepublik“. Schäuble verwies auf die Kämpfe im ehemaligen Jugoslawien und drohende weitere Kriege in Europa. „Wenn es nach der SPD ginge, wäre es um den Frieden in Europa schlecht bestellt“, erklärte der Fraktionschef unter empörten Zwischenrufen der Sozialdemokraten.

SPD-Fraktionschef Klose hatte zuvor eine vergleichsweise versöhnliche Rede gehalten und bemerkt: „Wir Sozialdemokraten sind – man kann das belächeln – viel zu staatstragend, um eine Opposition à la Sonthofen zu praktizieren.“