„Bankrotterklärung an uns Juden“

■ Ralph Giordano verteidigt im taz-Interview seinen Aufruf zum Selbstschutz

„Wenn Juden sich in Deutschland bewaffnen müssen, dann ist das eine Bankrotterklärung der Gesellschaft an uns Juden.“ Der Schriftsteller Ralph Giordano verteidigt seinen Aufruf, Juden müßten sich jetzt selber schützen. Wie viele andere Juden bekommt Giordano täglich Drohungen. „Jetzt ist die Situation für mich so, daß ich als nächster auf der Liste stehe. Soll ich zusehen, wie man mich physisch bedroht?“

Gestern wurde bekannt, daß am Freitag ein fünfzehnjähriger Roma in Essen niedergestochen worden war. Die Trauerfeier für die drei Opfer wird am Freitag in einer türkischen Moschee in Hamburg stattfinden, die Toten sollen in der Türkei bestattet werden. Kanzler Kohl wertete in der Bundestagsdebatte den Brandanschlag in Mölln nicht als Alarmzeichen für den immer bedrohlicheren Rechtsextremismus, sondern als „bedrückendes Signal für die Zunahme von Gewalt in unserem Land“. Er beklagte die „Erosion des Rechtsbewußtseins“, die, so Kohl ausdrücklich, Rechts- wie Linksextremismus ermutige. Dann erging eine scharfe Kanzlerwarnung an Ralph Giordano und alle zur Selbstverteidigung Entschlossenen. Das Gewaltmonopol des Staates dürfe nicht angetastet werden: „Wer dies versucht, muß die ganze Härte des Staates zu spüren bekommen“. Auch der SPD-Fraktionsvorsitzende Klose wendete sich gegen den Giordano-Vorstoß. Es sei nicht richtig, wenn sich bedroht fühlende Menschen bewaffneten. Die SPD werde Gesetzesverschärfungen zustimmen, wenn die bestehenden Gesetze nicht ausreichten, um rechtsradikale Gewalt zu bekämpfen.

Bundesinnenminister Seiters will noch diese Woche eine gemeinsame Koordinierungsgruppe gegen Rechtsextremismus und -terrorismus Gründen, deren Vorsitz beim Verfassungssschutz liegen soll.Sie soll die Erkenntnisse von Verfassungsschutz, Polizei und Justiz bündeln.

Die Einwanderungsabteilung der Jewish Agency in Jerusalem erklärte gestern, daß immer mehr in Deutschland lebende Israeli an Rückkehr dächten. In ihrem Frankfurter Büro melden sich vermehrt sowjetische Juden, die eigentlich in der Bundesrepublik bleiben wollten, mit dem Wunsch, nach Israel einzuwandern. Ahmet Güler vom Türkisch-Deutschen Unternehmerverein forderte dagegen seine Landsleute zum zivilen Ungehorsam auf. In einem taz-Interview erklärte Güler, viele türkische UnternehmerInnen seien zum Steuerboykott bereit. Der Kolumnist der US-amerikanischen Tageszeitung New York Times, A.M. Rosenthal, fordert die USA und den Westen auf, den „Nazismus in Deutschland, dem Herzen des Kontinents“, nicht länger allein als Problem der Deutschen anzusehen. Da die deutsche Regierung vollständig versagt habe, müßten EG und USA eingreifen, um einen nazistischen Flächenbrand, insbesondere in Osteuropa, zu verhindern. bm

Giordano-Interview Seite 2