Sanssouci: Vorschlag
■ JazzFest '92, zweiter Tag
Zumindest zwei Bands, die am heutigen zweiten Tag des JazzFests auftreten, könnte man unter der Überschrift Filmmusik ankündigen. Das Michel Legrand Trio spielt heute und morgen jeweils zweimal im Musikinstrumenten-Museum (das nur 250 Plätze aufweist) direkt neben dem Hauptspielort Philharmonie. In der Pressemappe des JazzFests findet sich ein Auszug aus dem rororo Jazz-Lexikon. Unter L wie Legrand, Michel, geb. 24.2. 1932 Paris, lesen wir: „Michel Legrand ist ein kompetenter Jazzpianist und akzetabler Sänger.“ Das allein würde wohl nicht reichen, um ihn gleich viermal auftreten zu lassen: „Mit mehr als 50 Filmmusiken zählt er zu den erfolgreichsten Filmkomponisten Hollywoods. Von den über 100 LPs unter seinem Namen sind einige von Jazzinteresse.“ Und was für die spritzigen Schreiber des „Jazz-Lexikons“ von „Jazzinteresse“ ist, ist natürlich auch für uns interessant: „Legrands Vater leitete ein Varieté-Orchester, sein Sohn studierte bereits als Elfjähriger am Pariser Konservatorium und begann als Begleiter von Sängern.“ Das reicht, oder?
Der etwas ältere Legrand muß sich dann in den Fünfzigern öfter in den Jazzclubs von Paris rumgetrieben haben, das damals das Exil für amerikanische Jazzer war, die keine Lust mehr hatten, sich in den USA von Drogenfahndern malträtieren zu lassen. Er hat nicht nur als „Begleiter von Sängern“, sondern vor allem als Begleiter von Musikern wie Miles Davis, John Coltrane u.a. gearbeitet. Legrand entwickelte sich zum Komponisten und Arrangeur, nahm 1957 mit Miles & Co sein erstes Jazzalbum auf: „Legrand Jazz“. In seiner Diskographie finden sich unzählige Filmsoundtracks. Oskars hat er auch schon mindestens drei eingeheimst, den letzten für die Musik zu „Yentl“.
Nur im weiteren Sinne etwas mit Filmmusik zu tun hat Charlie Hadens Quartet West, das heute abend in der Philharmonie gastiert. Der Bassist Charlie Haden, einer von denen, die mit dem voluminösen Holzkörper ihres Instruments verwachsen, wenn sie es umarmend am Ärmel zupfen – einer von den „Großen“ –, hat ein Album produziert, das „Haunted Heart“ heißt. Eine romantische Homage an eine Ära, die nicht mehr existiert. Die Zeit, in der die Autos noch rund waren und in Krimis Berge hochschnurrten, beschwört Haden zu Beginn seiner Platte mit der knisternden Originalaufnahme der Warner-Bros.-Logo-Fanfare von 1937. Danach hupen Autos aus dem Film „The Maltese Falcon“ von 1941 durchs Klangbild.
Allein das Titelstück Haunted Heart, 1947 gesungen von Jo Stafford, das Haden im Original auf seiner Platte wiederveröffentlicht, läßt jeden dahinschmelzen, der empfänglich ist für softe Hymnen, gesungen von rauchenden Damen in schulterfreien Abendkleidern. Das letzte Stück, der „Deep Song“, ebenfalls von 1947, gehört der Sängerin schlechthin: Billie Holiday. Neben diesen Originalaufnahmen, die Haden aus seiner Privatsammlung gefischt hat, hat er mit seinem Quartet West Kompositionen von Bud Powell oder Lennie Tristano neu eingespielt. Ein Konzert für zarte Seelen. Schade daß die Damen nicht mehr dabei sein können. Andreas Becker
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen