Klandestines Kino

■ Home Sex Movies – Ein krudes Genre präsentiert sich im Tränenpalast

Obwohl bei der ersten Pornographie-Reihe des Sputnik-Kinos Eier und – wenn ich mich recht entsinne – sogar Buttersäure flogen, gibt es nun eine Fortsetzung. Das Genre mag diesmal vor Attentaten schützen: gezeigt wird „Vintage Erotic“, amerikanische Kurzpornos von 1915 bis 1969, denen man schon wegen ihres amateurhaften Charmes beim besten Willen nicht böse sein kann.

Passenderweise ist diesmal „Hydra“ Mitveranstalter. Das griechische Wort Pornographie meint nämlich eigentlich „aufzeichnen, was Huren machen“ und für beide, das Sputnik und Hydra, kann das, was Huren machen, einiges mit Subversion zu tun haben.

„The Free Ride“ ist der erste amerikanische „Stag“, ein stummer Porno und die Trophäe des Programms. Ein Mann in einem Oldsmobile lädt zwei Frauen auf eine Landpartie. An einer Lichtung steigt er aus, um zu pinkeln, die Frauen finden das komischerweise höchst interessant und müssen ihrerseits, was wiederum den Fahrer stimuliert. Blitzschnell verführt er die eine der beiden, nur wenig später verlangt die andere ihren Teil – eine Lieblingskonstellation des Genres. Hier kommt noch alles zusammen: die Verbindung von Sex und Auto einerseits, und Sex mit Natur andererseits. Noch heute merkt man dem Film an, daß damals das offizielle Verbot noch mit dem Verbot der Schaulust zusammenfiel, und so jene Angstlust erzeugt, die von Heimlichkeiten auszugehen pflegt. Hier blitzt auch kurz auf, was in RTLplus längst begraben ist: der utopische Impuls von Pornographie, der ein pastorales Arkadien, Terrain jenseits von Arbeit, Familie und Stadt, zum Ort des freien Wünschens und Gebens umdichtet. Keine Zweierpaare werden gebildet, sondern da ist der und die und die, und sie wollen das und jenes, lassen sich aber sanft umleiten von Einfällen und Grillen. Der im Kino entdeckt plötzlich, daß auch die schrulligsten Einfälle schon einmal in die Tat umgesetzt worden sind: du bist nicht allein, sagen die Filme auch.

Daß gerade das Auto ein Katapult für diese Gefühle ist, zeigen die vielen anderen „Stags“ jener Tage: „The Pick Up“ (1920), A Highway Romance (1936) oder „A Modern Hitchhiker“ (1939). Mobil sein, wechseln können, weg können, weitermachen – Ketten bilden statt Ringe, fast ein Deleuzesches Motto. Die Stummfilme zirkulierten rund um den Globus; noch weniger als andere Filme spielten bei ihnen Sprachbarrieren eine Rolle. Man weiß von mexikanischen, japanischen oder italienischen Filmen, die an mauvais lieux (verdorbenen Orten = Bordells) gezeigt wurden. In Amerika sah man solche Filme in sogenannten „Smokers“, kleinen Männerclubs, die hauptsächlich von Arbeitern und Tagelöhnern, Legionären, Soldaten oder Burschenschaftlern frequentiert wurden. Gerade für die Studenten waren die Filme natürlich auch ein Stück sexueller Aufklärung, Ersatzerfahrung. Die Nahaufnahme vom Schwanz, der in die Möse eindringt, immer und immer wieder verlangtes Detail des Pornos, war so einerseits ein Wahrheitskriterium des Films, andererseits auch ein „Vögeln für Anfänger.“ Polizisten, die zum Konfiszieren kamen, blieben oft ein Stündchen und beteiligten sich an den „Stag Rituals“.

Als das technische Equipment leichter wurde, sah man die Filme zunehmend in Privatwohnungen. Das verringerte die Gefahr und erhöhte die Intimität. Gerade ein bürgerliches Publikum, das bis zur Ehe überhaupt keine derartigen Vergnügen kannte, ergriff diese Gelegenheit. Prompt wurde aus der Wiese ein Interieur: Filme spielen nun auf der Couch im „Living Room.“ Gleichzeitig wird Sex auch im Film, wie schon vorher in Büchern, zum sozialen Crossover benutzt: ein Tramp dringt ein zur Lady, ein Kirchenmann desavouiert sich, ein Ehepaar verführt einen Händler. Die frühen Farbfilme sind eine denkbar rosane Angelegenheit. Die Avon-Beraterin kommt zu Besuch, schläfert zärtlich ihre Kundin ein und leckt sie. Als die Kundin aufwacht und des Spiels gewahr wird, freut sie sich. Kein Mann in Sicht. Daß Begegnungen nach allen Seiten hin offen sind, auch das weiß Pornographie. Mariam Niroumand

„Home Sex Movies 1915–1969“. Präsentiert vom Sputnik Kino im Tränenpalast vom 27. bis 30. November. Heute abend im Anschluß an die Filmvorführung eine Diskussionsveranstaltung