Aids: Läusepension als Sterbedomizil

■ Aidskranke landen als Obdachlose in Läusepensionen/ Die soziale Verelendung der Erkrankten greift ständig um sich

Berlin. In den Berliner Läusepensionen verbringen zur Zeit zahlreiche sowohl HIV-Infizierte als auch aidskranke Menschen ihre Nächte. Manche wissen selbst nichts von ihrer tödlichen Krankheit, bekämpfen ihre Schmerzen mit Alkohol oder Tabletten und vegetieren in Vier-Bett-Zimmern ihrem Ende entgegen. Die hygienischen Bedingungen seien unmöglich, und das Einzelzimmer, das Infizierten zustehe, bekämen sie in den seltensten Fällen, weiß eine Mitarbeiterin von „Zuhause im Kiez“ (ZiK). ZiK bemüht sich um die Vermittlung von Wohnraum an HIV-Infizierte. Auf deren Warteliste stehen zur Zeit über 230 Personen, die zum Teil in Pensionen untergebracht sind.

Wie viele es wirklich sind, weiß niemand. Weder die Betreiber noch die einweisenden Bezirksämter fragen nach einem Test, „und die meisten Betreiber würden die Leute auf die Straße setzen, wenn sie das wüßten“, schätzt Lutz Volkwein, Streetworker der Aids-Hilfe. Wegen der Angst der Betroffenen davor und vor der Ausgrenzung durch ihre Mitbewohner könne dort auch keine medizinische oder psychosoziale Betreuung stattfinden.

„Die soziale Verelendung der Aidskranken greift ständig um sich“, so Bernd Vielhaber von HIV e.V. Das liege nicht nur daran, daß jetzt immer mehr Infizierte akut erkrankten. Aufgrund der besseren medizinischen Versorgung habe sich die Lebenserwartung HIV-Infizierter deutlich erhöht. Während vor fünf Jahren noch ein Zeitraum von etwa zwei Jahren zwischen Infektion und Tod gelegen habe, könne man heute durchaus acht bis zehn Jahre mit der Krankheit leben. „Sie sind dann aber nicht nur länger, sondern auch schwerer krank.“ An der Erstinfektion, früher meist Lungenentzündung, sterbe heute kaum noch jemand. Es folgten immer weitere und immer unangenehmere Infektionen.

„Dann stellt sich aber ganz massiv die Frage noch dem Lebensunterhalt. Die meist jungen Menschen haben oft höchstens fünf Jahre Rentenversicherung gezahlt, werden dann irgendwann arbeitsunfähig und müssen von einem Satz leben, der oft unter dem der Sozialhilfe liegt“, so Vielhaber. Viele von ihnen seien hoch verschuldet, etwa wenn sie sich ein Eigenheim gekauft oder sich selbständig gemacht hätten. Etwa zehn Prozent der Aids-Infizierten werden im Lauf ihrer Krankheit obdachlos.

„Einige ehemalige Strichjungs sind in solchen Unterkünften schon gestorben, oft ohne zu wissen, woran“, sagt Volkwein. „Die machen keine Tests, obwohl sie hochgradig gefährdet sind.“ Die 13- bis 25jährigen kämen oft aus desolaten Familienverhältnissen, hätten schon einige Heime und Pflegefamilien hinter sich und tauchten dann unter. Viele kämen aus den neuen Ländern oder aus Osteuropa. Sie seien meist obdachlos und schliefen sich von Freier zu Freier, um ein Dach über dem Kopf zu haben. „Wenn ein Stricher aus irgendwelchen Gründen nicht mehr gefragt ist, ist es normal, sich zunächst einen Platz in einer Läusepension zu besorgen.“ Sie zögen sich dann aus der Szene zurück und seien für die Sozialarbeiter nicht mehr erreichbar. Corinna Raupach