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Nie wieder erste Klasse Von Michaela Schießl

Es ist nicht wirklich überraschend, wenn sich mittwochs gegen vier Uhr nachmittags in Frankfurt/Main das Erste-Klasse- Abteil eines Intercity mit Geschäftsleuten füllt. Damit war zu rechnen. Nicht jedoch mit der Duftwolke, die die Kohorte schlechtsitzender Anzüge umwogt: eine Mischung aus Schweiß, warmem Aftershave, Lederköfferchen mit Zahlenschloß und Büroklammern. Unzweifelhaft hing auch noch der jüngste Anschiß vom Chef im Sakko.

In der Business class des „Unternehmen Zukunft“ (Eigenwerbung Bahn) stinkt es. Was noch erträglich wäre, könnte man diesen Zustand mit Würde und in Stille erdulden. Doch die üblichen Benimmregeln sind außer Kraft. Die Nadelstreifenmänner bilden einen Geheimbund mit eigenen Gesetzen. Zunächst muß — als Eingangstest und Erkennungszeichen — die Mitgliedschaft geklärt werden. Man tut dies, indem man den sandfarbenen Trenchcoat neben die Fenstergardine hängt. Dann wird das Diktiergerät aus dem messingbesetzten Köfferchen herausgezogen und Verträge ins Gerät formuliert. Laptops oder Mobiltelefone können das Diktafon ersetzen, profane Aktenordner hingegen gelten als hinterwäldlerisch.

Ist die Zugehörigkeit geklärt, gibt man sich gemütlich. Runter mit den Schuhen, hoch auf die Lehne mit den rauchenden Feinripp-Socken, Krawatte lockern, die in der FAZ eingerollte Bild- Zeitung befreien. Ist dieser Zustand erreicht, ist es endgültig mit der Ruhe vorbei. Ohne Unterlaß erklären sich die Männer ihre Wichtigkeit. „Vorhin war ich noch kurz in der Chefetage...“, „wie sagte doch gestern der Generaldirektor zu mir...“, „Ach ja, viel Arbeit als Abteilungsleiter.“ Das Anpreisen macht durstig. Der Abteilungskellner bringt das erste Bier. Nach dem zweiten widmen sich die Klubmitglieder den gemeinsamen Sorgen: Von Kassel bis Hildesheim stehen die Rentenversicherungen, die besten Tricks zur Steuerhinterziehung und die Möglichkeit, die eigene Frau als Putzfrau abzusetzen, auf dem Gesprächsprogramm. Die Tatsache, daß einer der Redner im 50-Sekunden-Takt die Rotze erst hochzieht, dann schluckt, beeinträchtigt die Diskussion in keinster Weise. Drei Sitze weiter gurgelt ein schlafendes Exemplar. Die Goldkronen in seinem offenen Mund lösen einen Streit über private Krankenversicherung aus.

Dannach, endlich, geht es um Frauen. Wie man sie billig kriegt, hält, loswird. „Der Hartmann aus der Lohnbuchhaltung, der hat Glück gehabt. Der hat eine bekommen, die ihm jeden morgen Hemd und Krawatte rauslegt.“ Ungläubiges Staunen, ganz hinten seufzt einer. Einen ganz kurzen Moment ist Ruhe, ein grauer Zweireiher bricht schließlich das peinliche Schweigen. Er zückt eine Visitenkarte und beginnt damit eine Art Gesellschaftsspiel der Geheimloge: Visitenkartensammelbücher vergleichen. Wer das dickste hat, hat gewonnen und darf ausführlich erklären, wie er dazu gekommen ist. Sie sabbeln wieder. Aufgeregt, ernsthaft, jovial, ohne ein Zeichen der Scham. Und ohne Unterlaß, von Frankfurt bis Berlin. Acht Stunden später weiß man alles über Aktienkurse, Bauherrenmodelle und Herrenausstatter. Und mit Sicherheit eins: nie wieder erste Klasse.

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