: Rock for Grown-Ups
Für Jimi Hendrix, der heute fünfzig geworden wäre ■ Von Klaus Theweleit
Gut und Böse liegen Seite an Seite, während elektrische Liebe den Himmel durchbohrt... ist dies Liebe oder bloß Konfusionen... is it tomorrow or just the end of time... Sind es die Sterne da am Himmel, oder regnet es, weit weg von jetzt... oh, mein Kopf dreht sich, round and round and round and round...
„Sterne“ und „Himmel“ waren früher mal etwas „da oben“. Bei Hendrix sind sie Bezeichnungen für Körperteile, Körperzustände. Die Welt ist geschrumpft, die Körper erweiterten sich unterm Bohrgeräusch der elektrischen Liebe. Die mindestens zwei Körper, die Hendrix in seiner Musik erzeugt auf seinem Space Ship Stratocaster (dem Körper des Hörers einen zweiten Körper im Raum hinzufügend, mit dem er sich verbinden kann), treiben sich nicht nur in seinem Sound herum, sie geistern auch durch das Gesagte: verbunden mit einem „und“, einem „oder“ oder vorgeführt in einem Vermischungszustand, der Hendrix mehr als andere Rocktexter als den Aufzeichner von körperlichen Aggregatzuständen, ihren Wechseln, Schmelz-, Kondensations-, Sublimierungstemperaturen erscheinen läßt.
Rote Schleier in meinem Hirn... müssen da all diese Farben sein, ohne Namen, ohne Sounds... ja, ich fließe durch flüssige Gärten und Arizonas roten Sand... mein Regenbogen ruft mich durch den Schleierdunst meines Wasserfalls... mein Kopf ist schwindlig, dreht sich... sich bedröhnen und anrufen auf dem Fernsaxophon... du bringst mich zum Fließen, immer aufwärts in Kreisen... nie läßt du mich fallen... die Ampeln drehn auf Blau am Morgen, sie scheinen ihre Leere auf mein Bett... manchmal ist meine Seele so nackt und müde, fühlt sich an, als wäre die öffentliche Meinung über sie hinweggekrochen, dazu die ganze Vergangenheit... Fühlen, süßes Fühlen tropft von meinen Fingern... Musik, süße Musik, dich möchte ich streicheln, küssen, küssen... der schreiende blaue Regen riß mir Löcher in den Leib... Manische Depression, frustrierende Scheiße, wenn der Tag dahinschmilzt in ein schläfrig rotes Glühn, fangen meine Wünsche an, sich zu zeigen... acting funny but I don't know why, excuse me, while I kiss the sky...
Ein Körper, der den Himmel küßte, mit mehr als einem seiner Teile, dazu die Berge und das Meer, nicht nur einmal, sondern drei, vier Jahre lang (so wie andre pissen gehn... entschuldige, ich muß mal... den Himmel küssen).
Ein Kind, das durch keine Schule kam (als es noch „allein“ war, unverbunden), liegengelassenes Kind zerstrittener, dann geschiedener Eltern, stumm und ausgelacht, tendenziell analphabetisch, erweckt vom Zusammenstoß mit zwei kräftigen Realitäten: einer halbindianischen Großmutter, Cherokee, zu der er gesteckt wurde mit acht, die ihm einiges flüsterte, und einer Gitarre mit 13, die er nicht mehr aus der Hand legte bis zum Tod mit 27.
Ein weiteres dieser Kinder, die die Wahrnehmung befestigen, daß zu massiven Zerstörungen massive Erweckungen/Belebungen kommen müssen, um den Funken der „Kunst“ aus einem Kinderkörper zu schlagen (für die, die sich für die „Genese des Artistischen“ interessieren). Die verschwundene Mutter war lustig gewesen und feierte gern; trank sich tot in zweiter Ehe; Vater Hendrix verbot seinen beiden Söhnen die Teilnahme an der Beerdigung.
Die Jahre bis zum Militär war Hendrix damit beschäftigt, in seinem Zimmer zu sitzen, am Radio zu drehn, alles anzuhören, mitzuspielen und nachzuspielen, was die Seattle Stationen zwischen 1955 und 1960 zu bieten hatten (das taten zur selben Zeit auch die englischen Jünglinge, die Hendrix später aus Amerika nach London erretteten). An Radioknöpfen drehen, Verstärkerknöpfen dann, später Frauenknöpfen... Ja, ich habe mit dir geschlafen, Gott weiß, du hast keinen Schmerz gespürt/ denn ich bin Millionen Meilen entfernt/ und zur selben Zeit grad hier, in deinem Bilderrahmen... sonst Gitarre... music, sweet music, I wish I could caress, kiss, kiss... schwarz/ weiß/indianische Analphabetenpoesie, so dicht am eigenen Körper wie möglich (das ist dichter als „autobiographisch“).
Hört man Hendrix' Texte, wie man Rocktexte normal hört, fetzenweise, bruchstückhaft, die Lücken mit eigenen Textfetzen füllend, hört man fast nur diese Körperzustandsberichte, zumal Hendrix' völlig in den Gitarrensound gebettete Stimme (die „siebte Saite“) nicht einlädt, entziffern zu wollen, wovon der denn spricht, wenn er singt. So weit ich sehe, gibt es keine deutsche Ausgabe hendrixscher Texte – was soll man einem Toten tun zu so einem Tag, wenn nicht ein paar seiner Gedichte vorlesen in einer anderen Sprache (auch wenn man selbst kein Poet oder Lyrics-Schreiber ist) – zumal in einem Druckmedium; ein paar Texte von Hendrix' Linkshand also zu seinem 50. (von dem nicht so klar ist, ob es sein Geburtstag war). (50 bin ich auch geworden dies Jahr, ich versuche mir vorzustellen, wie es sich anfühlt, schon 22 Jahre tot zu sein an diesem Tag... Purple Haze is in my brain.)
Die Nacht, in der ich geboren wurde, wurde der Mond feuerrot, ich schwörs,
Und meine arme Mutter schrie los: „Gott! Der Zigeuner! Er hatte recht!“
Und ich sah sie umfallen, tot.
Berglöwen fanden mich da wartend,
setzten mich auf Adlerflügel.
Der Vogel trug mich in die Außenbezirke der Unendlichkeit,
Und als er mich zurück nach hier brachte,
Gab er mir Venus' Hexenring, sagte
„Nun flieg weiter, flieg...“
denn ich bin ein Voodoo Kind, Voodoo Chile...
Großmutterkind, Radiokind... indianisch-elektrisch.
Von der Army, 26 Absprünge mit dem Fallschirm, bevor er entlassen wurde (halb verletzt/halb Rausschmiß), brachte der Gitarrist immerhin die Absicht mit, so klingen zu wollen wie der Wind in den Ohren beim Sprung aus dem Flugzeug... den Wind spielen wollen... von Orpheus bis Wagner... Nono, Rihm... jemand windiger als „Jimi“?
Das Rot, das ich trage, ist reine Zuversicht, es schleudert
Kriegstrophäen und euphorische Bänder.
Das Orange jung und wagemutig,
Aber zu unbeständig für das erste Ausgehn mit dir.
Mein Gelb für diesmal nicht so mild wie sonst,
In der Tat will ich sagen: es hat Angst wie ich auch,
Und all diese vermischten – meine – Gefühle, hindern mich,
Mein Leben einfach einem Regenbogen zu geben, wie dir.
Aber ich bin kühn wie die Liebe,
Kühn wie die Liebe.
Frag die Erdachse.
Sie weiß es.(„Bold As Love“)
„Dylans Einfluß auf Hendrix war zwiefach: so wie er ihn dazu inspirierte, seine eigene Innenwelt in seinen Texten zu erforschen, so überzeugte ihn Dylan auch davon, daß er zumindest versuchen könnte, zu singen. Genau wie man von allen Neugeborenen sagt, sie sähen aus wie Churchill, so klingen auch alle Rocksänger, die ,nicht singen können‘ (wie zum Beispiel Keith Richards, wenn er solo singt) immer etwas wie Dylan.“1
Hendrix, der wie alle schüchternen Leute seine Stimme nicht „mochte“, klingt dann aber kein bißchen wie Dylan, als er sich Mut macht und anfängt; er ist einfach ein weiterer Nicht-Sänger mit Stimme (die einzigen, die man aushalten kann).
Die Stimme lief; mit LSD dazu kamen auch die Wörter...
Wahnsinnig schön, so herumzutreiben,
sogar eine Qualle wird dir das erzählen.
Ich sagte, in der Strömung liegen ist groovy und leicht,
sogar eine Qualle fängt da was mit an.
Ja, die Quallen treiben lässig und schon lange,
Gott – der hat auch keine Knochenstange
in seinem Quallenrücken drin.
In den Strömen treiben, jeden Tag, jede Nacht,
auf den Wellen, high, dann wieder ruhn.
(– gut, manchmal ist der Wind nicht richtig.)
With the power of soul anything is possible.
Ganz schöner Reim.
Von zehn Musikerjahren ist Hendrix fünf Jahre Sideman berühmterer Musiker gewesen, angeheuert, rausgeschmissen, ums Geld beschissen, verdammt, seine Musik „im Kopf“ nur zu hören und die der anderen spielen zu müssen. Die zweiten fünf Jahre singt er selbst, Stücke- und Texteschreiber ist er wirklich erst ab 1967, gezwungen durch die Notwendigkeit, als Bandleader mit eigenem Material hervorzukommen. Dazu waren drei weitere Erweckungen nötig, die Verpflanzung nach London, wo Black nicht nur beautiful war 1967, sondern das Größte, wenn es so bunt behängt und popgitarristisch daherkam wie Hendrix (das schwarze Rhythm & Blues & Soul Amerika konnte damit nichts anfangen). Hendrix, in Amerika Teilchen einer schwarzen Riesenkultur, die sich auf dem Weg zu einer Mainstream-Kultur befand, fand in London die eigengesetzliche Kunstgruppe, die es braucht, zum König von Ausgefreakten werden zu können2; (was 60 Jahre vorher in Paris die Surrealisten, war in London 1967 der Rockclan um Jagger, Lennon, Townshend, Clapton.)
Dazu kommen Frauen in der Bedeutung von „Life is Love“ & „Love is Sex“ plus die blaue Pille, die die Bilder löst und die Teile des Gehirns, die sich trauen, auch öffentlich nichts anderes als traum- und märchenhaft zu sein.
Die Cherokee-Alte, das Radio, Geliebte, London & LSD (dahinter das harte Handwerk von fünf Jahren Steinbruch on the road) erzeugen das Gitarrenwunder des Summer of Love... und einen Kleinen-Jungen-Schreiber, der am liebsten Märchen erzählt, sozialkritische Märchen, Indianermärchen, Märchen aus dem Märchenland, pazifistische Unterwassermärchen, Märchen von der Vorgeburt, alle aus einem Innenraum heraus, sagen wir, aus dem Bauch der Gitarre durchs Schalloch gesehn.
Auf diese Seiten verteilt drei von ihnen (es gibt weitere schöne). Meine Übersetzung ist nur Annäherung, keine „Nachdichtung“; den unersetzlichen englischen Ton muß man sich selber machen, beim Hören.
Eine meiner Lieblingsstrophen (für bestimmte Moments of Life):
Ja, ich habe noch mehr zu sagen.
Wie ich durch L.A. gefahren bin,
Auf einer Fahrrad-Mißgeburt für Bekloppte,
Und seh einen der alten Kumpels da stehn.
Sagt, „Mann, du hast auch schon besser ausgesehn.“
Und ich: „Naja, manche sehn eben aus wie'n Münzfernsprecher.“
Und er: „Sieht nich aus, als hättest du irgendwo 'ne Münze übrig.“
Und ich lehnte mich zurück, dachte mir was und sagte dies.
Ich nahm einfach meinen Stolz auf von hinter der Telefonzelle,
Und kämmte seinen Atem aus meinem Haar, vollkommen.
Und manchmal ist es nicht so einfach, besonders wenn dein einziger Freund
So spricht, so guckt, so aussieht und so fühlt wie du,
Und du machst auch nichts anderes wie er.(„My Friend“)
Den „einzigen Freund“ in diesem Song sieht Hendrix, wenn er in den Spiegel sieht. Er sah (mindestens) zwei, wenn er in den Spiegel sah, und er fand das einsam (mit diesem Freund). Indianer, Halbindianer oder elektrische (inmitten ihrer Geisterschar) handhaben den „Doppelgänger“ etwas anders als wir mit unserer Doppelseele. Sie sind nie alleine und immer mehr als zwei – außer zur Mitternacht selber, wenn der Blick auf die Freundin im Bilderrahmen
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fällt, die, die nicht mehr da ist, die, die nie mehr kommt, der Moment, in dem die Welt gewichen ist und die Schreibhand aufs Papier schreibt: And I continue to burn the midnight lamp alone. Burning of the Midnight Lamp, vielleicht Hendrix' europäischster Text; die Musik am schönsten in der Aufnahme für „Radio One“, ohne den Background-Chor von „Electric Ladyland“.
Häufiger bei Hendrix ist eine andere Frau, die, die Catherina heißt in „A Merman...“ oder „Gypsy Eyes“ oder „Angel“, ein Wesen, das zu ihm kommt (auf Wimpernflügeln) und ihm was Gutes tut, obwohl er's nicht „verdient“ hat, „ich danke dir, Baby, daß du im Dreck gegraben und mich da aufgelesen hast...“ („In From The Storm“).
Night Bird Flying
Sie ist ein Nachtvogel, fliegt durch die Nacht, fliege weiter.
Sie ist ein Nachtvogel auf ihrem Mitternachts-, Mitternachtsflug,
segle weiter, ja.
Nun ja, sie ist auf dem Flug zu mir,
aber vor Morgen muß ich sie fliegenlassen.
Alles, was wir haben, Baby, eine kostbare Nacht.
Leg ab deinen Blues, deine Schuhe und Alles,
und schieb sie unter das Bett.
Schlage mich ein in deine wundervollen Flügel,
– so ist es nicht schlecht.
Nimm mich mit durch deinen Traum,
in deiner Welt möchte ich sein.
Bis morgen wird keine Träne vergossen,
bis die Sonne rauskommt aus ihrem Bett,
mach weiter, mach weiter, Baby.
Und flieg.
Segle weiter. Gleite weiter.
Segle weiter. Hör nicht auf.
Nicht ganz das blues- und rockübliche Machogerede (das es bei ihm auch gibt); aber kaum die Ruby Tuesdays, die kommen und gehen, wie Mann sie braucht, eher selbständige, auch überlegene Geliebte.
Todesarten: einer, den man nicht arbeiten ließ – nachdem er „sein Ding“ einmal entwickelt hatte; es mußte erst ausgeschlachtet werden. „Wieviel Konzerte habt ihr damals im Jahr gemacht?“ „365“, antwortet in einem Interview 1992 Bassist Noel Redding. Hendrix:
„Wir waren im Studio, und wir hatten uns gerade an ein paar verrückten Sachen versucht. Ein paar wirklich freakige Sachen. Und nach ein paar Tagen zerrte man uns aus dem Studio, ohne uns zu sagen warum. Plötzlich waren wir in Paris, mitten in der Szene, im Pariser Olympia Theater, und dann waren wir plötzlich auf dem Flughafen in London und hatten zwei Stunden Aufenthalt, und noch 'n Weilchen später waren wir in New York, irgendwo ausgesetzt in irgendwelchen Straßen. Das geschah alles innerhalb von Stunden. Dann gab's noch eine Pressekonferenz, und du bist eigentlich immer noch dabei, über die Songs nachzudenken. Du hörst sie durch deinen Kopf geistern, und du willst dich beeilen, daß du wieder ins Studio kommst, um an deiner Arbeit weiterzumachen. Schließlich hattest du dich ja darauf eingestellt. Und plötzlich stecken sie dich ins Filmore. Klar, wir wollten da spielen, doch du denkst immer noch an diese neuen Tracks, die total anders sind als die, die du jetzt spielen mußt.“
Der durchgearbeitete Studiosound war für Hendrix das Zentrale seiner Produktion, das, was ihn wirklich interessiert hat. Er klang nie so, wie er „wollte“, die Platten selten, wie sie hätten sollen, obwohl erhebliche Studioarbeit bei den ersten dreien in den Sound investiert worden ist; er hörte „mehr“ im Kopf, als aus der Gitarre rauskam, aus der Stimme und aus den Geräten. Bei „Electric Ladyland“ hat er besonders den falschen Sound beklagt:
„Wir wollten einen sehr speziellen Sound haben. Das ist dann beim Zusammenmischen verlorengegangen, weil wir kurz vor der Fertigstellung auf Tour gingen. Als ich es gehört habe, fand ich den Sound ziemlich verschwommen. Die Platte hätte so viel besser sein können, aber wir waren die ganze Zeit auf Tournee und konnten nicht die Zeit, die wir benötigt hätten, im Studio verbringen. Das ist das Schlechte an diesem Busineß. Du hast eine durchgeplante LP, und plötzlich bringen sie zum Beispiel „Crosstown Traffic“ als Single heraus. Hinter der LP steckte eine bestimmte Art zu denken – wir haben die Seiten aus bestimmten Gründen so eingespielt. Und es ist fast eine Sünde, wenn sie dann etwas aus der Mitte auskoppeln und als Single rausbringen (...) nur, damit sie mehr Geld verdienen können. Sie koppeln immer die falschen Tracks aus.
Studioingenieure mischen den End-Sound ab, Marktstrategen koppeln Singles aus. Hendrix baut sich ein Studio in New York, um endlich arbeiten zu können wie er möchte: Ein Wasserschaden macht es zunichte, nicht mal ein bestochener Klempner, sondern eine angestochene Hauptwasserleitung.
Man kann die artistischen Großunternehmer Prince, Michael Jackson verstehn in ihrem Bemühen, alles was sie brauchen, in selbstkontrollierten Imperien zu versammeln; nur kommt meist, wenn das Imperium da ist, keine rechte Produktion mehr raus.
Die vielen Konzertaufnahmen der Experience, immer neue „kommen hervor“, zeigen zwar eindrucksvoll, daß Hendrix den Sound, den er im Studio erzeugte, im Prinzip auch auf der Bühne schaffte, aber die Kicks des Studiosounds fehlen, und die Aufnahmen sind technisch schlechter. In der Performance oft sehr stark, sind die Konzertaufnahmen in ihrer Körperverwandlungskraft daher durchweg geringer. Die Studio- LPs „Are You Experienced“, „Axis: Bold As Love“, „Electric Ladyland“ (mit Einschränkungen) werden auch durch 2.000 bevorstehende Neuherausgaben und Archivfunde in dieser Hinsicht nicht übertroffen werden. Ebenso nicht die von Hendrix unfertig im Studio zurückgelassenen (und nachträglich zur Herausgabe bearbeiteten) „Cry of Love“/„Crash Landing“/ „Midnight Lighting“, die, obwohl bei letzteren beiden ein zusätzlicher Gitarrist nach Hendrix' Tod hinzugefügt worden ist, vom Sound her zum Teil mehr Hendrix bieten als die meisten Konzertaufnahmen der Experience oder der Band of Gypsies, mit Billy Cox statt Noel Redding am Baß.
„In Hendrix' Umgang mit Verstärkern und Verzerrern hört man ihn sagen, das sei der Umgang, wie er ihn sich gewünscht hätte mit seinem Körper“ – hab ich anderswo geschrieben –: „Was alles in mir steckt, wenn man mich berührt, aufdreht, mich in Schwingungen setzt an den richtigen Stellen und mit ruhigen Händen. (...) Es ist die völlige Abwesenheit von Vergewaltigung der Apparatur, die aus seinem Spiel als eine Art Liebe hervorkommt.“ Sätze, an denen ich nichts ändern würde und möchte: „Hendrix spielt oft wie auf zwei Instrumenten in der gleichen Zeit; er konstruiert mehrere musikalische Körper, die sich ineinander verschlingen, antreiben, sich reiben, explodieren, sich wieder zusammensetzen. Am Schluß der Stücke ziehen sie sich zurück, langsam, nie abrupt, alles zittert etwas nach.“3
„Wo ist der zweite Gitarrist?“, fragen Musiker bis heute, wenn sie versuchen, mit dem Ohr Hendrix' Soundverschlingungen zu folgen, dem Wal, der überall zugleich ist, unnennbar, von welcher Farbe.
„Ich dachte, ich wäre der heißeste Gitarrist der Szene. Ich ging die Straße rüber und sah ihn mir an. Hendrix wußte, wer ich war, und er verbrannte mich an jenem Tag bei lebendigem Leibe. Ich holte danach nicht mal mehr meine Gitarre raus. Wasserstoffbomben explodierten, Raketen flogen durch die Luft – ich kann den Sound gar nicht beschreiben, den er aus seinem Instrument holte. Er fabrizierte jeden Sound, den ich je von ihm gehört habe – nur mit einer Stratocaster, einem Fender Twin-Verstärker und einem Maestro Fuzz-Gerät. Wie er es machte, ist mir immer ein Geheimnis geblieben.“
Mike Bloomfield von der Butterfield Blues Band zum Guitar Player-Magazin über die Unmöglichkeit, Hendrix als Gitarrist zu belauschen.
Ein Geheimnis bis jetzt, mit einer Beschreibung gitarristischer Techniken nicht zu erfassen. Obwohl J.H. diesen oder jenen Hinweis gegeben hat: „Ich spiele eine Fender Stratocaster. Man kann da die Rückwand abnehmen, so eine kleine Platte, und dann kann man auf den Federn rumklopfen...“
Diese Tricks der Klangerzeugung stehen aber jedem Gitarristen offen, nur, niemand sonst klingt so.
Musiker wie Musikphysiologen weisen immer wieder auf die materielle Realität der Schallwellen hin, die verändernd in menschliche Körperzellen (die ja auch „Schwingung“ sind) einwirken; keiner „glaubt“ es so recht, aber alle praktizieren es beziehungsweise sind Objekt des Vorgangs.
Bei Hendrix hängt der Eintritt der Körperverwandlung entscheidender als bei anderen von der akustischen Dosis ab. Erst oberhalb einer bestimmten Schwelle „faßt er dich an“. Das gilt zum Beispiel nicht für die Beatles, deren Art Schwingungen man bei mittlerer Zimmertemperatur aufnehmen kann. Die Dinge ins Schwingen zu bringen, den eigenen Körper, den Raum, das Schiff, sind bei Hendrix ein hoher Pegel, viel Höhen, viel Bässe notwendig; sonst kommt nicht, was da kommen kann. Wenn es kommt, ist es unabweisbar: eine Kraft, die berührt, den Körper hochhebt, schwindeln läßt; was so viele am Anfang des Hendrix-Hörens als „Brutalität“ empfanden, entpuppt sich als Wärme, als Umschmelzkraft, ich behaupte, Hendrix ist eine der Kräfte, die in der Lage sind, das, was ich als dynamisierten „Tötungsunwillen“ bezeichne, bei Leuten, die sich auf ihn einlassen, zu erzeugen oder zu verstärken; eine riesenhafte Anti-Zerstörungskraft, die an Körperumbauten bastelt und webt und diese Kraft leichterhand, wirklich leichter Hand, unter die Leute wirft. Etwas, das Mütter können, Liebende, manche Geräte und „Kunst“ – ich ärgere mich, wenn solche Wahrnehmungen jeweiligen Popmoden und Lagerkriegen geopfert werden. Man kann zwar, man muß die Welt aber nicht nach Hippie- versus Punk-Barrikaden einteilen (nicht nur wegen der Skins, bewahre. Nicht nur wegen all der jetzigen Rap/Soundmixer, die sich auf Jimi „berufen“. Nein:
Steve Lacy, Jazzer, Sopransaxophonist: „Für mich war Hendrix einer der Götter, und das ist die einzig passende Bezeichnung, denn er spielte wie niemand sonst. Hendrix war jenseits aller Kategorien, und das ist das, was ich mag. Sachen, die die irdischen Kategorien übersteigen. Mag alles übrige zum Teufel gehen, das Interessante in der Musik ist die Magie. Da sind wir alle drauf aus – die pure Magie!“4
Das mit dem Übersteigen der irdischen Kategorien, natürlich kann man meckern, nur, was soll man sonst sagen zu einer wirklichen Einzigartigkeit, wahrgenommen von Leuten, die in diesem Medium leben. Er nennt es Magie, ich nenne es Körperpolitik, meinetwegen auch Wachstumsunterricht. Ein Wachsen von Phasen aus übrigens, die ein bestimmtes Alter voraussetzen. Ich habe bei Jugendlichen, die bestimmte Körper- Misch-Erfahrungen nicht haben, gesehen, daß Hendrix' Berührungen leicht an ihnen vorbeigehen. Rock for Grown-Ups scheint mit ein haltbarer Titel. Man muß was mitbringen an den Ort Hendrix, wenn man was mitnehmen will von dort.
Room Full of Mirrors
Kennst du den Raum voll mit Spiegeln – den thrill?
„Alles, was man sah, war ich.“
Ich nehme meinen Geist und zerschlage meine Spiegel.
Nun sehe ich die ganze Welt,
ich sage, die ganze Welt ist jetzt für mich zu sehn.
Jetzt suche ich nach einer Liebe.
Zerbrochenes Glas drang in mein Hirn,
Schnitte und Schreie überall in meinem Kopf.
Zerbrochenes Glas schrie laut in meinem Hirn,
es fiel auf meine Träume, es schnitt in mein Bett.
Ich sage, Liebe machen war schon sehr seltsam hier, in meinem Bett.
Musik und Texte zum Material, aus dem die Emotionen sind; eine Art gitarristisch-galileischer Existenznachweis dessen, worum manche Menschenkörper kreisen, die in oder nach WKII geboren sind: die Körperaggregatzustände, das Kosmische, Kopf im Himmel, Füße im Erdmittelpunkt. „Aus dem Raum“-Sein, einen Engel an der Hand, Liebeslyriker, Minnesänger, Melancholiker, Märchenmann, dessen Rollstuhlköniginnen gen Himmel schweben, plus der indianer-schwarze Gypsy (weniger afro bei ihm, wenn ich recht sehe), Medizinmann, gefährlich. Gefolgt vom Federgeschmückten mit der Pfeife, dem Straßenkind mit dem Anti-Violence-Körper, das aufruft, nicht Häuser anzustecken, sondern den Blitz im Kopf. In allen und durch alle, Hendrix, der Mehr- und Übergeschlechtliche; keine Mischung „menschlicher“ Sexualitäten macht ihn dazu, es ist die sexuelle Elektrizität der Gitarre, die das Liebesfeuer schafft, das Friedensfeuer und das Androgyne.
Selten (meist wenn Rassenfragen berührt sind), ist er offen „politisch“.
Look Over Yonder
Sieh da rüber, da kommt der Blues,
die good guys , die Blauen, von Idioten ermächtigt.
Da kommen sie, Blaumäntel, bewaffnet,
mit ihrer Gewalt und schlagen ihre falschen Noten.
Sieh da rüber, der kommt auf mich zu,
der Tag ist im Arsch, wenn ich ihn nur sehe.
Sogar die Gitarrensaiten hast du mir zerfetzt.
Ahh, sieh da rüber.
Da – er spricht meine Freundin an,
meine Friedenspfeife haben sie an ihr gefunden,
sie schleppen sie ab.
Wer braucht einen Satan wie den,
uns in der Gegend rumzuprügeln.
Ah, er klopft an meine Tür,
mein Haus bricht zusammen.
Komm nicht näher Mann, die Straßen werden eisig hier.
Bleib weg von meiner Tür, Kerl,
oder du hast einen Krieg mehr am Hals.
Sieh da rüber, hey, sieh dir das an...
Er verbrannte nicht nur sein Instrument, er brannte selbst und wurde verbrannt, auf einem Scheiterhaufen 1970, den er selbst mit anzünden half und unter dem Jubel der Fans, „Selbstopfer-Ritual“.
„Es war keine Überraschung, daß Jimi sich davonmachte.“ It was no surprise that Jimi split, schrieb Germaine Greer im Oktober 1970, direkt nach Hendrix' Tod, in der feministischen Zeitschrift Oz. „Split“, das im Englischen gebräuchliche Wort für die Atomkernspaltung. Sie hatte das Trio aus Hendrix, Mitch Mitchell und Billy Cox (Neol Redding hatte die Experience verlassen) gerade auf der Isle of Wight mehr gesehen als gehört: in einer vollgestopften Riesenscheune ohne Akustik mit schlechtem Equipment (Orange), die Musiker, die sich selbst kaum hörten, orientierungslos, sich mit den Augen auf der Bühne suchend, das Publikum offenbar auf Feuer aus.
Hendrix war auf dem Sprung in ein „neues Leben“, als er starb, Musikerarbeitsleben an Platten im Studio. Er wollte nicht nur aus dem Pop-Busineß raus, sondern aus der Rockmusik. „In fact the best music of Hendrix was still to come“, traute sich Germaine Greer zu schreiben nach einer nächtlichen Session ohne zahlendes Publikum, ohne Beifall, nur Hörer da5. Hendrix, in dessen Spiel es mehr zu hören gab als bei jedem anderen Lebenden sonst, war verdammt worden zu einem Publikum, das kam um zu sehen: den Akt, den er erfun
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Fortsetzung
den hatte als Zutat, als Zugabe, als übermütige Opferung des Heiligsten, wenn das Ritual geglückt war: der Durchbruch in die physisch- elektrische Erlösung auf der Bühne, an dem sie alle arbeiteten und den kaum sonst jemand materiell hinbekam mit der Gitarre als Cross-Over-Medium ins Jenseits des eigenen Körpers.
„Solange die Leute kommen, um uns zu hören und nicht, um uns zu sehen, wird alles okay sein. Aber wenn sie kommen und erwarten, daß du bestimmte Dinge auf der Bühne machst, für die man dich hängen könnte (...). Was mich am meisten nervte, war, daß alle Leute zu viele visuelle Dinge von mir wollten. Ich habe es nie gewollt, diese Visualisierung meiner Musik.“
Wenn die Gitarre nicht brannte, war „nix gewesen“... Hendrix wußte das 1970, haßte es und hatte begonnen, sich „normal“ anzuziehen. Gefährlich all sowas, und besser, man sagt nicht zu laut, daß man „sein leben ändern“ will als Popstar, als Kuh im Stall mit den berühmten großen Titten (weiblich/ männliche, egal in dem Fall, egal für das Geld, das rauskommt).
An Hendrix molken drei Manager herum 1970, ein gewesener, ein aktueller und ein kommender, einen vierten, der nicht molk, Chas Chandler, der hatte sich auszahlen lassen, weil er kein Melker war, wollte Hendrix gern wiederhaben; der kommende, der zuletzt aufgetaucht war, ein Anwalt mit Namen Alan Douglas, besitzt heute alles, Hendrix' ganze Hinterlassenschaft.
Noel Redding, 1992: ...ich bekomme keinen Pfennig aus den Tantiemen. Überhaupt nichts. Jimi hatte kein Testament gemacht. Ein ganzer Haufen von Anwälten kamen und gingen oder wurden gegangen. Und dann gabs auf einmal diese Hendrix-Hinterlassenschaftsfirma. Und die brachten einen Anwalt, Alan Douglas, mit, der das Ganze übernahm; und sie nahmen wirklich einfach alles. Als Mitch und ich versuchten, Gewinnanteile zu bekommen, wurde uns eine miese Abfindung ausbezahlt, die wir aus finanziellen Gründen damals annehmen mußten. Und die haben seither ungefähr 80 Millionen Dollar verdient.
Und du hast nichts davon abbekommen?
Keinen Cent.
Es muß doch einen Weg geben...
Nein, das ist gut abgesichert. Ich hab's überprüfen lassen. (...) Ich werde so sauer, wenn ich daran denke.
Und sie können aus dem alten Material so viele neue Zusammenstellungen machen, wie sie wollen, und du siehst keine Mark?
Exakt.
„Alan Douglas Productions“ steht auf den CDs, die jetzt rumliegen in den Läden (bei WOM sah ich letzte Woche eine Dreier-Packung mit seltenem Hendrix aus Radio-Shows, Preis 270DM. Elektronisch gegen Diebstahl gesichert.)
Schlußwort von Noel Redding: „Wenn du also 46 bist und schon seit 27 Jahren im Geschäft und komponieren und Instrumente spielen kannst, kriegst du keinen Vertrag, weil du zu alt bist. Ich habe in Irland gelebt. Und ich habe mit meiner Frau wieder akustische Musik gemacht. Meine Frau ist kürzlich gestorben.
Gestorben?
Ja, wir waren 19 Jahre zusammen. Carol Appleby. Sie kam aus Akron, Ohio. Bei einem Autounfall auf dem Heimweg von einem Gig. Zwei Jahre ist das her. (...) Ich war ziemlich glücklich in Irland. Wir hatten Gigs in Hotels, bei Hochzeiten und so. Wir bekamen zwischen 300 und 400 pro Konzert, Essen und Bier frei. Ich war ziemlich glücklich, spielen zu können. Nur wir zwei. (...) Wir hatten ein Auto, ein wunderschönes Haus, und die Gigs waren immer in der näheren Umgebung.“6
Noel Redding hat zweimal großes Glück gehabt in seinem Leben und zweimal großes Unglück. Das nächste Mal nur das erstere, wünsche ich ihm.
Jetzt, wo alle Buben im Karton sind,
und alle Clowns vergraben im Bett,
kannst du das Glück auf der Straße stolpern hören,
Fußspuren in violett.
Und der Wind flüstert Mary.
1Charles Shaar Murray, „Purple Haze“, Wien 1989, Seite 84
2Ein Artikel dazu von D. Diederichsen in „Heaven Sent“, Nr.6, Frankfurt/M.
3Zum Musiker ist einiges geschrieben worden die letzten Wochen, Tendenz: Hendrix zum größten Gitarristen der Rockgeschichte herunterzumachen. Er wird überleben.
4Murray, Seite246
5Germaine Greer: „The Madwoman's Underclothes“, London 1986, Seite44.
6Interview mit Neol Redding von Jesse Nash im „Melody Maker“.
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