Jelzin eröffnet das Bauernlegen

Jelzin nimmt seinen Staatssekretär Burbulis aus der Schußlinie/ Gaidar legt Kompromißprogramm vor/ Fernsehchef Jegor Jakowlew und Informationsminister entlassen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Im Vorfeld des Volksdeputiertenkongresses ebnet Präsident Boris Jelzin den Weg für einen Ausgleich mit der oppositionellen Legislative. Seit langem verlangen die Volksdeputierten eine Korrektur seines Reformkurses und die Auswechslung einiger Minister. Insgesamt sechs Kabinettsmitglieder forderte die „Bürgerunion“, die sich selbst „konstruktive Opposition“ nennt, als Tribut für ihre Unterstützung des Jelzin-Kurses auf der Sitzung des höchsten gesetzgebenden russischen Organs nächste Woche. Dort wird es um eine Verlängerung der präsidialen Sondervollmachten und eine grundsätzliche Absegnung des Reformkurses gehen.

Die Deputierten der Rechtsaußen-Fraktionen haben bereits eine unversöhnliche Haltung angekündigt und wollen den Rücktritt Jelzins und seiner Mannschaft verlangen. In der „Bürgerunion“ haben sich diverse zentristische Kräfte zusammengeschlossen. Mit Rußlands Vizepräsident Alexander Rutskoi und dem Vorsitzenden der einflußreichen Industriellenlobby – der roten Direktoren –, Arkadij Wolskij, stellt sie die wichtigste Oppositionskraft dar.

Die Rücktritte und Entlassungen im Umkreis Jelzins sind Ergebnis eines wochenlangen Tauziehens. Gestern enthob der Präsident seinen engen Vertrauten Gennadij Burbulis seines Amtes als Staatssekretär. Er ernannte ihn aber gleichzeitig zu seinem wichtigsten Berater. So nahm er ihn zwar aus der Schußlinie der Öffentlichkeit, signalisierte jedoch gleichzeitig, er werde auf die Dienste seines Intimus nicht verzichten. Am Tag zuvor hatte der stellvertretende Vizepremier und Informationsminister Michail Poltaranin selbst um seinen Rücktritt ersucht. Sein „Rücktritt sei ein wohlüberlegter und ausgewogener Schritt, um im entscheidenden Moment für die Zukunft Rußlands den Präsidenten vor zunehmenden Angriffen der Opposition, die es auf Revanche abgesehen hat, zu schützen“.

Jelzins Ministerpräsident, der Reformmann Gaidar, präsentierte dagegen gestern dem Parlament ein Kompromißpapier, das mit der „Bürgerunion“ ausgehandelt worden war. Darin schickte er vorneweg: „Wir haben von vornherein gewarnt, daß wir nicht bereit sind, inkompatible Ansätze miteinander zu kombinieren. Es gibt eine Reihe von Punkten, über die wir nicht bereit sind zu diskutieren.“ Dazu gehört die Forderung der Bürgerunion, die unverkennbar lobbyistische Politik betreibt, das alte staatliche Verteilungssystem wiederzubeleben. Er wandte sich ebenfalls gegen das Einfrieren von Preisen und Löhnen und erteilte den Wünschen der Direktoren auf unbegrenzte Kreditausschüttung eine Abfuhr. Bodenlose Subventionen wird es nicht geben. Dennoch kündigte er finanzielle Konzessionen an, um der Rüstungsindustrie bei ihrer Umstellung zu helfen.

Schon am Dienstag war der Intendant des gemeinsamen GUS- Kanals, Jegor Jakowlew, entlassen worden. Ihm wurde seitens der Administration tendenziöse Berichterstattung im Nordkaukasus- Konflikt vorgehalten. Jakowlew zählt zu den unbeirrten Parteigängern Jelzins. Unmittelbar nachdem er von seiner Entlassung erfuhr, meinte er: „Ich habe viele alte Freunde in der Regierung, aber ich würde ihre Entlassung akzeptieren, wenn das den Präsidenten rettet.“ Die liberale Presse reagierte bestürzt auf Jelzins Entscheidung. Die schon seit den 80er Jahren bemüht liberale Moscow News, deren Chefredakteur Jakowlew bis zur Berufung in die Intendanz nach dem Augustputsch 1991 war, kommentierte: „Die Entlassung jegor Jakowlews ist nicht nur ein Rücktritt. Vor allem ist es ein Zeichen dafür, daß man in den oberen Etagen persönliche Ergebenheit und Gehorsam höher bewertet als demokratische Überzeugungen und berufliches Können.“ Zum drittenmal in seiner Laufbahn wurde der prominente Reformer damit entlassen. Allerdings ist noch nicht geklärt, wie die anderen GUS-Staaten reagieren werden, da niemand sie bislang gefragt hat.