Gegen „abscheuliche Kategorie der Blutsbande“

■ Der Schriftsteller Siegried Lenz spricht sich für ein Einbürgerungsrecht aus

Hamburg (taz) – Einen Tag vor der Trauerfeier für die Opfer von Mölln haben die Schriftsteller Siegfried Lenz, Günther Kunert und Gabriel Laub sowie Vertreter verschiedener türkischer Organisationen mehr politische Rechte für Ausländer in Deutschland gefordert. In einer Pressekonferenz riefen sie die Politiker außerdem dazu auf, den Rechtsextremismus nicht länger zu verharmlosen, sondern mit aller Härte vom Gewaltmonopol des Staates Gebrauch zu machen.

Lenz setzte sich gestern in Hamburg für ein Einbürgerungsgesetz und die Möglichkeit einer doppelten Staatsbürgerschaft besonders für jene Menschen ausländischer Abstammung ein, die in Deutschland geboren sind oder seit Jahren hier leben. Für ein Einbürgerungsverfahren dürfe nicht länger die „abscheuliche Kategorie“ der Blutsbande entscheidend sein.

Der Vertreter der türkischen Sozialdemokratischen Partei (SDP) in Europa, Dr. Etem Ete, kritisierte, daß die Ausländer in Deutschland zunächst per Gesetz „mundtot gemacht“ wurden, nun aber für die sozialen Probleme in Deutschland verantwortlich gemacht würden. Die Konsequenz könne nur sein, den Nichtdeutschen endlich „demokratische Mitspracherechte“ zu geben. Eine Mitsprache, die Ete den Deutschen in Sachen Menschenrechte in der Türkei jetzt abspricht. Und zwar nicht nur wegen der Morde von Mölln. Auch die alltägliche Diffamierung von Ausländern seien Menschenrechtsverletzungen, die es verböten, mit dem Finger auf andere zu zeigen.

Günther Kunert warf den bundesdeutschen Behörden vor, den Rechtsextremismus bisher bagatellisiert zu haben, seit Jahren Parolen in Deutschland überhört und überlesen zu haben wie diese: „Die Juden haben es hinter sich, die Türken haben es vor sich.“ Kunerts Forderung: konsequente Verfolgung und härtestes Strafmaß für rechtsextremistische Straftäter. Kunerts dunkle Vision für ein Versagen des Staates gegenüber der rechten Gefahr: Deutschland im Bürgerkrieg.

Der Sohn der in Mölln getöteten Bahide Arslan, Faruk, warf Polizei und Feuerwehr auf der Pressekonferenz erneut vor, nicht alles zur Rettung der Menschen in den brennenden Häusern getan zu haben. Arslan, dem Verbindungen zum Hamburger Rotlichtmilieu nachgesagt werden, trat auch Vermutungen entgegen, das Attentat könnte von Türken oder Kurden begangen worden sein: warum dann zwei Häuser, warum zwei Familien?

Zu der Trauerfeier heute in Hamburg werden zahlreiche Vertreter des türkischen Parlaments und der türkische Botschafter in Deutschland erwartet. Der Direktor des Essener Zentrums für Türkeistudien, Professor Faruk Sen, hat gestern Bundeskanzler Helmut Kohl aufgefordert, an der Trauerfeier teilzunehmen und so ein Signal gegen die Ausländerfeindlichkeit zu setzen. uex