Punktuelle Unstimmigkeiten

■ Interview mit Horst Hamborg vom Internationalen Roten Kreuz

taz: Nach wie vor behaupten Hilfsorganisationen, etwa 1,5 Millionen Somalis seien vom Hungertod bedroht – etwa ebenso viele wie vor einigen Monaten, bevor die großangelegten internationalen Aktionen ins Rollen kamen. Hat die Hilfe bisher überhaupt kein Ergebnis gebracht?

Hamborg: Ich weiß nicht, warum mit den Zahlen noch operiert wird. Die 1,3 bis 1,4 Millionen Somalis, die über unsere Küchen versorgt werden, müßten da eigentlich rausfallen, denn deren physische Verfassung hat sich eindeutig verbessert. Vor drei Monaten waren die Kinder zum großen Teil apathische Knochenbündel. Heute sehen sie proper aus, spielen und lachen.

Kann also Entwarnung gegeben werden?

Nein. Die unmittelbare Hungerkatastrophe ist dank der Arbeit der Hilfsorganisationen abgewendet. Aber die Menschen, denen es jetzt besser geht, müssen weiter gefüttert werden, wenn sie nicht in den vorherigen Zustand zurückfallen sollen. Zwar ist inzwischen an vielen Orten Saatgut verteilt worden, aber man weiß ja noch nicht, wie die Ernte ausfällt.

Die UNO ist für allzu langsame und allzu geringe Hilfe scharf kritisiert worden. Bringt sie jetzt im Rahmen ihres 100-Tage-Planes mehr ins Land?

(zögert) Es hat zumindest keine Auswirkungen auf unsere Arbeit.

Wird durch die weitere Zersplitterung der somalischen Fraktionen die Arbeit für Sie erschwert?

Ja. Es geht ja in den meisten Fällen nicht um größere Aktionen, die sich auf größere Gebiete erstrecken. Es sind punktuelle Unstimmigkeiten zwischen Clans, die mit Waffen ausgetragen werden, und da ergeben sich dann plötzlich oft neue Zuständigkeiten. Übereinkünfte, die man mit bestimmten Gruppen getroffen hat, haben keine Gültigkeit mehr, und man muß ganz von neuem mit Verhandlungen beginnen.

Glauben Sie, daß es auch Gruppen gibt, die ein konkretes Interesse daran haben, die Arbeit der Hilfsorganisationen zu erschweren?

Das glaube ich nicht. Interview: bg