Hilflose Helfer in der Not des Krieges

■ In Somalia halten die internationalen Hilfsorganisationen dem Druck von Korruption und Erpressung kaum noch stand

Hilflose Helfer in der Not des Krieges

Der Flughafen von Mogadischu, wo bis vor wenigen Wochen Fahrzeuge ungehindert direkt bis an die Maschinen heranfuhren und Gruppen bewaffneter Männer kreuz und quer durcheinanderliefen, ist wie ausgestorben. Unter einer Zeltplane vor dem Flughafengebäude sitzen pakistanische Offiziere, Angehörige der UNO-Truppen, die am 11.November die Kontrolle des Geländes übernommen haben. „Wir sind entspannt“, meint einer von ihnen lächelnd. Wie lange noch? In der vergangenen Woche, in der Nacht von Donnerstag auf Freitag, sind vier Artilleriegeschosse auf den Flughafen abgefeuert worden. Sie haben die Anlage nur knapp verfehlt. Es steht nicht fest, wer den Anschlag verübt hat – aber ein Verdacht ist naheliegend: General Farrah Aideed, einer der mächtigsten Kriegsfürsten in Somalia, fühlt sich von der UNO übergangen und hat die Truppen unmißverständlich aufgefordert, in ihre Unterkünfte zurückzukehren. „Die UNO will einen Kampf provozieren“, sagt Osman Hassan Ali, genannt Osman Atto, einer der engsten Berater des Generals. Und: Der UN- Generalsekretär Butros Ghali, ein „verläßlicher Freund“ des gestürzten Präsidenten Siad Barre, sei der Mann, der hinter den Konflikten in Somalia stecke: „Er treibt sein Spiel mit menschlichem Leid.“

Das Internationale Rote Kreuz mag sich gegenwärtig auf den Schutz der UNO-Soldaten nicht verlassen: Für ihre Hilfsflüge benutzt die Organisation eine Landebahn, die etwa 50 Kilometer von der Hauptstadt entfernt liegt. 100 Tonnen Lebensmittel werden auf diesem Wege jeden Tag nach Mogadischu gebracht – und sie werden dringend gebraucht, denn eine andere Möglichkeit der Versorgung gibt es derzeit nicht. Der Hafen, die Lebensader der Stadt, ist seit rund einer Woche geschlossen. Menschenleer sind die Kais. Kaum ein Dutzend Bewaffnete bewachen das Gelände, auf dem es außer leeren Containern nichts zu bewachen gibt. Draußen auf dem Meer, in sicherer Entfernung, liegt ein Schiff der UNO mit Baumaterialien an Bord und ein Frachter mit 12.000 Tonnen Lebensmitteln, die für die Küchen des Internationalen Roten Kreuzes bestimmt sind. Trinkwasser wird allmählich knapp für die Mannschaft, aber die Ladung kann nicht gelöscht werden. „General Aideed hat uns gedroht, daß seine Kanonenboote uns beschießen werden, wenn wir den Hafen El Man nördlich von Mogadischu anlaufen“, erklärt Horst Hamborg vom Roten Kreuz. Die Folge: Seit dem Wochenende erhalten Notleidende in den Küchen des ICRC in Mogadischu nur noch eine statt bisher zwei Mahlzeiten. Das reicht kaum zum Überleben. Die Lebensmittelpreise sind in die Höhe geschossen: Reis kostet heute auf dem Markt fast doppelt soviel wie noch vor einigen Tagen. Farrah Aideed würde den Hafen der Hauptstadt lieber heute als morgen wieder öffnen – aber das verhindert sein Rivale Ali Mahdi. Der Interimspräsident, der den Norden Mogadischus kontrolliert, hat das Gelände bombardiert. Und er läßt keinen Zweifel daran, daß er es wieder tun wird, sollten die Vereinten Nationen nicht auf seine Forderungen eingehen. Er verlangt, daß auch im Hafen UNO- Truppen stationiert werden und daß die UNO in seinem Teil der Stadt ebensoviel Geld läßt wie in dem nicht von ihm kontrollierten Territorium. Auf die letzte Forderung hat sich die UNO jetzt eingelassen: Das Hauptquartier der Militärbeobachter ist in den Norden verlegt worden, und peinlich genau soll darauf geachtet werden, daß die Mittel zwischen beiden Gebieten gleich verteilt werden. Es ist abzusehen, daß dies erneut Proteste der Mahdi-Gegner auslösen wird. Und vielleicht nicht einmal zu Unrecht, denn dessen Territorium ist weit kleiner als der Rest der Stadt.

Geld ist gegenwärtig der Magnet, um den sich alles dreht in Somalia. Jeder ausländische Helfer weiß Geschichten zu berichten, wie seine Organisation mit Forderungen erpreßt worden ist und weiter erpreßt wird – aber dringlich wird die Journalistin gebeten, diese Geschichten nicht aufzuschreiben. Ernstzunehmende Morddrohungen seien an der Tagesordnung; würden Einzelheiten veröffentlicht, dann seien Menschenleben in Gefahr. „Das Wort Somal bedeutet melken – das können die Leute hier ziemlich gut“, seufzt Ian MacLeod von Unicef. Verhandelt werden muß über alles: über Löhne der somalischen Angestellten, über Mieten für die Häuser, über Transport und Baumaterialien. Tagelang erreichten Lebensmittel, die in die Kleinstadt Bardern eingeflogen worden waren, die Lagerhäuser nicht. Der Grund: Die Transportunternehmer hatten ihre Preise von einem Tag auf den anderen drastisch heraufgesetzt. 11.000 Notleidende in einem Flüchtlingslager an der Stadtgrenze konnten nicht versorgt werden.

Innerhalb gewisser Grenzen haben einige Ausländer durchaus Verständnis für die Somalis: „Die Not des Krieges verblaßt allmählich in der Erinnerung der Leute“, erklärt Julian Jones von der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“. „Jetzt bemühen sie sich darum, etwas Handfestes zu bekommen, zum Beispiel in Form höherer Gehälter. Wer mit uns zusammenarbeitet, schaut jetzt in die Zukunft. Und weil außer bei den Organisationen eben nirgendwo etwas zu verdienen ist, deshalb geraten wir unter steigenden Druck.“

Aber es geht keineswegs nur um den vergleichsweise schlecht bezahlten Wächter oder die Küchenhilfe, deren Forderungen allein deshalb nicht brüsk zurückgewiesen werden können, weil die Organisationen sonst Gefahr laufen, den ganz Clan ihrer Mitarbeiter gegen sich zu haben. Große Summen sind im Spiel: Für Häuser werden bis zu 5.000 Dollar Monatsmiete verlangt. Ihre Eigentümer leben oft sicher im Ausland. Ein Europäer erzählt, daß ein ehemaliger Minister des Barre-Regimes zehn Häuser an Hilfsorganisationen vermietet haben soll. „50.000 Dollar im Monat, ohne dafür irgend etwas tun zu müssen.“

Nicht über alles kann verhandelt werden. Kriminelle Übergriffe häufen sich. Der Diebstahl von Autos, vor allem von UN-Fahrzeugen, gehört inzwischen zum Alltag. „Uns haben Bewaffnete den Wagen morgens um acht mitten auf der Hauptstraße abgenommen“, erzählt Ian MacLeod. Je kleiner die Splitterfraktionen werden, desto größer sind die Aussichten der Täter, ungeschoren davonzukommen. Vor fast zwei Wochen ist aus dem SOS-Kinderdorfprojekt ein somalischer Arzt entführt worden. Niemandem ist es bisher gelungen, etwas über sein Schicksal in Erfahrung zu bringen. Das Motiv liegt im dunkeln.

Politik und Gesellschaft vermischen sich. „Somalia den Somalis“ steht auf Häuserwänden in Mogadischu zu lesen, und Osman Atto behauptet: „Die UN-Soldaten am Flughafen verletzen die Souveränität unseres Landes.“ Er fügt hinzu: „Die Hawardle können nicht einfach irgend jemandem den Flughafen vermieten.“ Darum genau geht es: Hafen und Flughafen sind die größten Pfründe in Mogadischu. Der Hafen wird vom USC (Vereinigter Somalischer Kongreß) Genreal Aideeds kontrolliert, dessen Macht sich auf den Clan der Habr Gedir stützt.

Der Clan der Hawardle, der bereits während der schweren Kämpfe um die Jahreswende den Flughafen besetzt hatte, war einst mit Aideed verbündet – jetzt aber hat er mit der UN eine Übereinkunft getroffen, und es mehren sich die Anzeichen, daß er die Fronten gewechselt hat und ins Lager von Ali Mahdi übergelaufen ist. Oder ist auch das noch eine allzu einfache Sicht der Dinge? Die Hawardle seien gespalten, behaupten einige Somalis. Sie wollten sich zur entscheidenden dritten Kraft mausern, sagen andere. Aber auch die Abgal, zu denen Ali Mahdi gehört, sollen untereinander zerstritten sein. Andererseits ist die Macht General Aideeds geschwächt, seit Ali Mahdi ein überraschendes Bündnis mit General Morgan, dem Schwiegersohn Siad Barres, eingegangen ist. Der spielt nun plötzlich wieder mit im somalischen Ringen um die Macht, nachdem er vor ein paar Monaten noch politisch und militärisch totgesagt worden war. Jetzt sitzt er mit seinen Truppen in der einst von Aideed gehaltenen Kleinstadt Bardere, und alle Welt erwartet, daß er in den nächsten Tagen versuchen wird, die südsomalische Hafenstadt Kismayo zu erobern, die noch von Aideeds Verbündetem Omar Jees kontrolliert wird.

Einigermaßen hilflos scheinen sich die UN-Vermittler in diesem immer undurchdringlicher werdenden Dickicht wechselnder Bündnisse und Konflikte zu bewegen. Noch vor ein paar Wochen sah das anders aus. Damals war Mohammed Sahnoun noch der Gesandte der Vereinten Nationen, und seinem Verhandlungsgeschick war das Kunststück gelungen, sich die Achtung und den Respekt aller Seiten zu erwerben. Aber nachdem Sahnoun deutliche Kritik an den Hilfsoperationen der UN geäußert hatte – „zu wenig, zu spät“ –, kam es zum Bruch mit Generalsekretär Butros Ghali, und Sahnoun mußte gehen. Selten einmütig ist der Zorn, der darüber in Mogadischu von verschiedenen Seiten geäußert wird: „Das Image der UN ist flach am Boden“, sagt Osman Atto. „Unser Verhältnis zu Sahnouns Nachfolger Ismat Kittani ist schlecht.“ Ian MacLeod von Unicef meint: „Wir waren außerordentlich wütend über die Ablösung von Sahnoun. Bisher hatten wir nicht die Zeit, Kittani und seine Effizienz zu beurteilen.“ Fest stehe jedoch, daß die UN an Glaubwürdigkeit verliere, wenn nicht genug Lebensmittel Mogadischu erreichten und außerdem Sahnoun nicht mehr da sei, „dessen Wort für viele Somalis mehr Gewicht hatte als das ihrer eigenen Führer“. Ähnlich wird das beim Internationalen Roten Kreuz gesehen. „Mit Sahnoun ist ein Verhandlungspartner verlorengegangen, dessen Geschick allseits geschätzt wurde. Alle nichtstaatlichen Hilfsorganisationen haben das sehr bedauert. Wir wissen nicht, was Herr Kittani bringt“, sagt Horst Hamborg. Ein UN-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte, glaubt an einen geheimen Plan des Generalsekretärs: „Butros Ghali will Somalia als Testfall benutzen, um Frieden nicht zu sichern, sondern herbeizuführen, notfalls mit Gewalt. Wenn ihm das gelingt, kann er das Modell auf Jugoslawien, Liberia und Angola übertragen.“ Bislang sieht es allerdings nicht so aus, als sei die UNO in der Rolle der Friedensstifterin sonderlich erfolgreich.