Szenen aus Berlinistan

■ Merhaba! Türkische Filmtage im Eiszeit und im Filmmuseum Potsdam

Erstmals in Berlin wird der Versuch unternommen, einen Querschnitt durch den neuen türkischen Film vorzuführen mit siebzehn Filmen, die hauptsächlich aus den achtziger Jahren stammen. Im Kino ebenso unsichtbar war bislang die türkische Bevölkerung Berlins. Der Veranstalter Wolf Mellen hofft, mit dem Programm auch türkisches Publikum ins Kino zu locken und führt deshalb die Filme in Originalfassung mit Untertiteln vor. Bei entsprechender Resonanz könnten im nächsten Jahr türkische Filme ins reguläre Programm aufgenommen oder wieder en bloc gezeigt werden.

Als einziger international bekannter Regisseur des türkischen Kinos ist Yilmaz Güney mit dem Gefängnisdrama „Die Mauer“ (Frankreich 1983) vertreten und bestätigt somit noch einmal die Bilder von Repression und Grausamkeit, die das europäische Publikum spätestens seit „Midnight Express“ mit türkischem Kino verknüpft. Vom Leben der armen, von Feudalherrn gebeutelten Landbevölkerung erzählt Erden Kirals „Der Spiegel“ (BRD 1984). Muammer Özer siedelt in „Eine Handvoll Paradies“ (Schweden/Türkei 1985) eine Familie vom Dorf auf den Müllkippen der Metropole Istanbul an. Das ländliche Idyll kann nicht von Dauer sein; Industrialisierung und Landflucht zeitigen auch in der Türkei ihr Folgen.

Die in der Türkei berühmte Schauspielerin Türkan Soray führte seit 1972 in vier Filmen selbst Regie. Die Verfilmung von Yasar Kemals gleichnamigem Roman „Die Schlange muß sterben“ (Türkei 1982) gilt als ihr bester Film. Sie spielt darin gleichzeitig die Hauptrolle des schönen Mädchens Esme, das gegen ihren Willen mit einem reichen Großgrundbesitzer verheiratet wird. Ob der Film nun „anders“ ist als gleichermaßen blutige Dorfdramen von Sorays männlichen Kollegen, ob er eine „weibliche“ Sicht der Verhältnisse enthält, bleibt allerdings fraglich. Filmtechnisch wurde „Die Schlange muß sterben“ von der Kritik sehr gelobt; die Aufnahmequalität, die sorgfältig ausgearbeitete Erzählstruktur und die Musik von Zülfü Livanelli fanden allgemein Anerkennung.

Von Zülfü Livanelli ist auch eine eigene Regiearbeit zu sehen: „Der Nebel“ (Türkei/Schweden/ Schweiz 1989), ein politisches Drama über die Auflösung einer Familie zwischen dem Militärputsch von 1960 und dem Terror der späten siebziger Jahre.

Der in Deutschland noch gänzlich unbekannte Atif Yilmaz hat seit den sechziger Jahren an die 90 Filme verschiedenster Genres (Unterhaltung und Kunst) gedreht und wäre eine eigene Retrospektive wert. Er gilt als einer der innovativsten und experimentierfreudigsten Regisseure des neuen türkischen Films. In den achtziger Jahren trat er mit „Frauenfilmen“ hervor, die Subjektivität und weiblichen Blick moderner, selbständiger Frauenfiguren in den Vordergrund stellen. „Eine verwitwete Frau“ (Türkei 1985) erzählt rasant die Liebesbeziehung einer Witwe zu einem jüngeren Fotografen. Eine bessere Wahl wäre wohl „Aaahh Belinda“ (Türkei 1986) gewesen, wo Atif Yilmaz spielerisch verschiedene Frauenrollen inszeniert, in dem er eine Theaterschauspielerin bei den Dreharbeiten für einen Haarshampoo-Werbefilm unvermittelt ihre eigene Realität verlassen und in das dargestellte kleinbürgerliche Familienglück eintreten läßt.

An einer Bildsprache für subjektive Wirklichkeiten arbeitete auch Ömer Kavur in seinen Filmen. Die magisch-realistischen Bilder von „Hotel Mutterland“ (Türkei 1986) verstehen es, den Zuschauer in den Bann der psychotisch-paranoiden Innenwelt des Hotelbesitzers Zebercet zu ziehen. „Reise durch die Nacht“ (Türkei 1987) ist die selbstreflexive Suche eines Regisseurs nach dem richtigen Drehort. Er entdeckt eine „Geisterstadt“, von den Griechen im Jahr 1923 verlassen. Die Faszination dieses Ortes läßt ihn das ursprüngliche Filmprojekt aufgeben und sich auf die Voraussetzungen seiner Arbeit besinnen.

Das Filmemachen selbst problematisieren noch weitere neue türkische Filme, darin in gewisser Weise vergleichbar dem europäischen Autorenfilm, mit dem Unterschied allerdings, daß sich die Gratwanderung zwischen Kunst und Kommerz, der Kampf um eigene Ausdrucksformen für die türkischen Filmschaffenden sehr viel schwerer gestaltet, da es keine staatliche Filmförderung gibt und in der Regel Zugeständnisse an den Publikumsgeschmack gemacht werden müssen.

In Fehmi Yasars „Herz aus Glas“ (Türkei 1990) gerät ebenfalls ein Regisseur auf Abwege und reist nach Anatolien, das gleichsam in surrealistischen Bildern an ihm vorbeizieht. Das fragwürdige Genre türkischer Dorffilme, geschaffen von großstädtischen Regisseuren und Schauspielern, wird so kritisch beleuchtet. Die türkische Kritik feierte den Film als das Kinoereignis des Jahres 1991. Diese neueren Filme sind sicher am ehesten geeignet, mit den exotisierenden Erwartungen des deutschen Publikums gegenüber dem türkischen Kino aufzuräumen und den „tiefen Einblick in die sehnsuchtsvolle Schönheit der türkischen Seele“, der auch im Programmheft dieser Veranstaltung wieder beschworen wird, durch zeitgemäßere Formen der Anerkennung zu ersetzen.

Drei neuere Filme vom diesjährigen Filmfestival in Antalya werden bei den Türkischen Filmtagen ebenfalls zu sehen sein. In „Sommer in Mezra“ (BRD 1991), dem Regiedebüt des in Berlin lebenden Schauspielers Hussi Kutlucan, folgen wir einem jungen türkischen Berliner auf eine Reise in sein Heimatdorf in Anatolien. „Mem-Ü- Zin“ (Türkei 1991) ist eine farbenfrohe Verfilmung des bekannten kurdischen Liebesepos von Ehmede Xani unter der Regie von Ümit Elci. Besonders gespannt sein kann man auf die Arbeit der Regisseurin Canan Gerede, die als Assistentin bei Elia Kazan, Yilmaz Güney und Atif Yilmaz gearbeitet hat. „Robert's Movie“ (eine englischsprachige europäische Koproduktion von 1991), die Erlebnisse des Kriegsfotografen Robert in der Istanbuler Unterwelt.

Als Vorabpremiere wird heute um 21 Uhr im Filmmuseum Potsdam der Film „Die Heirat“ (BRD 1990) gezeigt. Der in Berlin lebende Regisseur Ismet Elci ist anwesend. Die Geschichte des in Berlin lebenden Metin, der in seinem Dorf im Osten Anatoliens gegen seinen Willen mit Aygül verheiratet wird, besticht durch ihre einfache, wenig stilisierte Erzählweise und durch die Natürlichkeit der Darsteller, die sich positiv von der Tradition gekünstelter Dorffilme abhebt.

Insgesamt ist dem Programm leider der Etatmangel anzumerken: nur acht der siebzehn Filme sind in der Türkei produziert. Ursprünglich sollten mehr Filme aus der Türkei geholt werden. Auch das Vorhaben, Regisseure einzuladen, scheiterte am Geldmangel. Überdurchschnittlich vertreten sind deshalb Filme, die die Wanderung nach Deutschland und deren Folgen thematisieren, wie Tevfik Basers „Abschied vom falschen Paradies“ (BRD 1988) und „Yasemin“ (BRD 1987/88) von Hark Bohm, die offenbar unvermeidliche Krönung eines jeden deutsch- türkischen Filmprogramms.

Eine humorvolle Erfrischung unter diesen türkischen Deutschlandbildern, die nicht in die gängigen Leidensklischees verfällt, ist eine Komödie rund ums Kottbusser Tor: „Polizei“ (Türkei 1988). Der beliebte Komiker Kemal Sunal spielt in diesen Szenen aus „Berlinistan“ den sympathischnaiven Straßenkehrer Ali Ekber, der zuweilen auch Nebenrollen in einem türkischen Theater übernimmt. In der Rolle eines Polizisten gefällt er sich so gut, daß er, ausgerüstet mit Uniform und Sonnenbrille, die „Köpenickiade“ auf der Straße gleich weiterspielt. Die Kreuzberger parieren prompt: „Guten Tag, Herr Polizei! Bittschön, Herr Polizei! Tschüß!“ Die Türken verabschieden sich mit „Tschüß!“, die Deutschen sprechen mit leicht türkischem Akzent, die Creolisierung nimmt ihren Lauf und endet manchmal glücklich... Deniz Göktürk

Bis 2.12. im Eiszeit-Kino und im Filmmuseum Potsdam.