Stadtbild
: Saurier sterben in Treptow

■ Wo das Stadtbild zu wünschen läßt (Folge 20)/ Zum „Untergang“ des früheren Kulturparks Treptow/ Die Kunst der Schwerelosigkeit gerät zum freien Fall

Mit der spezifischen Berliner Neigung zu Superlativen kommt der Besucher des früheren „Kulturparks Treptow“ und heutigen Rummels an der Oberspree nicht weit: Der alte Kupferbrunnen mit Till Eulenspiegel, der zum Gespött der quakenden Frösche verkehrt auf seinem Esel reitet, hat Patina angesetzt. Ebenso ergeht es der Plastemeile „Von den Faustkeilen der Neanderthaler zum Sputnik“. Die ausgebleichte Urzeitromantik mit Apatossaurus (30 Tonnen, 140 Millionen Jahre vor unserer Zeit, 21 Meter lang, ernährte sich von Blättern), Tyrannossaurus („Der Herrscher der Wälder“) und einem ins Gebüsch pinkelnden Steinzeitmenschen sowie die Neuzeitvision einer gelandeten Untertasse („Geschlossen“) spiegeln den inszenierten Siegeszug des Sozialismus auf beinahe paradoxe Weise wider.

Die technischen Errungenschaften einer „Gespensterbahn“ sowie der naturalistischen Holper-„Kinderautobahn“ (Höchstgeschwindigkeit: 80 Kilometer pro Stunde), die fragilen Verhältnisse unter dem Achterbahnwagen und die eiserne Imitation des Prater-Riesenrades lassen nur mehr die Untergangsstimmung des menschenleeren Kulturparks aufkommen.

In die Physiognomien der Betreiber, die Buden mit abgeplatzten Farben und die Zelte, wo „Carmens Hunde-Schau“ einst brillierte, ist eine fatale Hoffnungslosigkeit eingezogen. Wo früher die Massen für 1,25Mark strömten, spukt es heute für stolze 18 Mark. Die „Spree-Park- Berlin“ GmbH, seit dem 1. April (!) 1992 Eigentümerin des VEB- Geländes, sucht mit „Wild-Revier“, „Looping“ und „Euro- Balls“ zwar nach neuen Sensationen – doch die bleiben erfolglos für die Schausteller. Ihre Einnahmen tendieren gegen Null. Die Kunst der Schwerelosigkeit geriet zum freien Fall angesichts der Schnellverkoster- und Leasing- Mentalität: Der neue Eigner ist auf Rationalisierung aus, er bezahlt die Auftritte teurerer Attraktionen, doch alle Rechte über die Luftnummern hat ein Agent aus dem fernen Worms.

Der Anblick des mobilen Ensembles erschüttert, nicht eingedenk nostalgischer Sehnsucht, sondern der Trostlosigkeit des gegenwärtigen Zustandes wegen. Über das Areal weht ein zugiger Wind, der Altes fortträgt und bei dem Neues keinen Halt findet. Den Sauriern und den zirkushaften Vergnügungen fehlt trotz des kalkigen Zustandes etwas, das Ernst Bloch „die Buntheit des eigenen Exotismus“ nannte. Das sind die Flieger für Ausschweifungen. Es ist der Zug des „freundlichen Sich-Begegnens“. Hier aber sind die Liebe zu den Dingen, die Dinge selbst und die Menschen abhanden gekommen. Rolf R. Lautenschläger