■ Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führten und führen, sind für die drei Toten von Mölln mitverantwortlich
: Schreibtischtäter

In Mölln wurde ein Brandanschlag verübt. In Mölln starb angeblich im Jahr 1350 der Schalk Till Eulenspiegel an der Pest. In seiner Gestalt verbinden sich ungebremster Hohn, antibürgerliches Ressentiment und die eigentümliche Lust an der Erniedrigung anderer zu einem brisanten Gemisch. Diesem Geist, wahrscheinlich von einem Trupp Neonazis exekutiert, sind drei Menschen zum Opfer gefallen. Wer vor solchen Ereignissen gewarnt hat, wurde bisher belächelt oder der Hysterie geziehen. Dennoch sind der hilflosen Sehnsucht nach der Mitte und einem nur noch als kontraphobisch einzustufenden „Antialarmismus“ zum Trotz – schon der historischen Redlichkeit wegen – einige Klarstellungen unerläßlich. Das Gedenken, das zumal im November oft genug zur rituellen Hülle verkommen ist, fordert heute und im Blick auf die Zukunft Genauigkeit. Daher:

Erstens sind heute Politiker aller Parteien, die die Asyldebatte führten und führen, in genau dem Sinne, in dem einst die Hetzjournalisten der Bild-Zeitung am Attentat auf Rudi Dutschke schuld waren, für die Toten von Mölln verantwortlich. Zweitens: Wenn jemals der Begriff „Schreibtischtäter“ in der Geschichte Westdeutschlands auf eine Person zutrifft, dann auf den heutigen Verteidigungsminister Volker Rühe, der im September 1991 als CDU-Generalsekretär mit einem Asyldebattenerlaß die Lawine der Gewalt losgetreten hat. Drittens: Daß Helmut Kohl und Björn Engholm die Trauerfeier in der türkischen Moschee zu Hamburg mieden, ist ein Skandal eigenen Ranges. Politik besteht auch in symbolischen Handlungen – die Solidarität der Menschen untereinander angesichts des Todes muß, wenn sie denn ernst gemeint ist, auch öffentlich und feierlich gezeigt werden. Genau genommen hätte es der Bundesregierung, wenn sie das, wofür sie in Berlin vergeblich demonstriert hat, ernst meinte, angestanden, Bahide Arslan sowie den beiden Mädchen Ayshe und Yeliz einen Staatsakt auszurichten.

Wer sich verteidigt, so heißt es, klagt sich an – wer einem Begräbnis fernbleibt, deutet auf sich. Helmut Kohl und Björn Engholm aber waren bei der Trauerfeier in Hamburg nicht zugegen. Diese Unterlassung wird auch nicht dadurch getilgt, daß Engholm mit ein paar Politikern Tage zuvor den Gatten der verbrannten türkischen Frau besuchte. Bei Trauerfällen ist es in der politischen Klasse allemal üblich, Terminpläne umzudisponieren.

So bleibt schließlich festzustellen, daß die „Herstellung der inneren Souveränität“ – wie etwa Udo Knapp die Asyldebatte zu nennen beliebt – in diesem Jahr bisher sechzehn Menschenleben gefordert hat und daß die Urkunde der großen Koalition, die jetzt geschrieben wird, mit der Asche dreier toter Türkinnen besiegelt ist. „Und wenn ein Fremdling/Als Gast im Haus einkehrt/Grüße man ihn mit Ehrfurcht...“, heißt es in der Tragödie „Die Eumeniden“ – des Dichters Aischylos Beitrag zur Gründungsproblematik von Staatswesen. Anders aber als das Athen der Tragödie ist der neue deutsche Staat zu einem Akt der Versöhnung nicht in der Lage. Micha Brumlik

Professor für Pädagogik an der Universität Heidelberg und Mitglied der Fraktion der Grünen in der Stadtverordnetenversammlung in Frankfurt a. M.