Das Tote Meer liegt im Sterben

In Israel blüht die Wüste nur, weil Raubbau an Wasserreserven betrieben wird/ Versalzung des Grundwassers droht  ■ Aus Jerusalem Alexander Will und Christoph Reuter

Der letzte Winter brachte Segen für Israel. Es hatte überreichlich geregnet, die Grundwasserreservoirs waren wieder voll, und der See Genezareth, Israels wichtigster Wasserspeicher, erreichte — nach Jahren einmal wieder — seinen normalen Pegel.

Gut für die Kibbuzim: Die israelische Wasserbehörde Mekorot hob die im Jahr zuvor verhängten Rationierungen wieder auf. Keine Verbesserung dagegen für die Palästinenser: Nach wie vor wird ihnen auf der Westbank das eigene Wasser abgegraben: „Wir dürfen keine neuen Brunnen bohren und die alten nicht vertiefen, wenn sie versiegen“, erzählt Shawgi al- Zattma, angehender Wasserbauingenieur der palästinensischen Universität Bir Zeit nördlich Jerusalems. „Dagegen legen die israelischen Siedler eigene Tiefbrunnen an.“ Zwar nicht viele, rund drei Dutzend seit 1967; aber mit einer Tiefe von bis zu 1.500 Metern entziehen sie den lediglich 100 Meter erreichenden Brunnen der Palästinenser das Wasser. Selbst der Bau von Auffangbecken für Regenwasser bedarf der Genehmigung durch die israelische Militärverwaltung. Insgesamt verbrauchen die etwa 105.000 jüdischen Siedler der Westbank heute soviel Wasser wie die eine Million Palästinenser in diesem Gebiet.

„Über Wasser reden wir nicht, wir haben es“

Dabei kommt das Wasser der Westbank nicht nur den Siedlern zugute. Zwei Drittel davon nutzt Israel, um den Bedarf des Kernlandes daraus zu über 40 Prozent zu decken. „Unser Land geben sie uns vielleicht einmal zurück, das Wasser darunter niemals“, fürchtet Nazmi Jobeh, Dozent der Uni Bir Zeit und Mitglied der palästinensischen Verhandlungsdelegation in Washington. Die Autonomie-Vorschläge der Israelis scheinen dies zu bestätigen: Nur bilateral, nicht mit anderen Staaten, will Israel darüber verhandeln. Selbst eine Studie der Universität Tel Aviv, daß Israel bei sparsamem Verbrauch auch ohne das Westbank- Wasser auskäme, fiel unter die Militärzensur.

„Über Wasser redet man hier nicht, Wasser hat man“, faßt der deutsche Agrarwissenschaftler Klaus Droppelmann einen sechsmonatigen Studienaufenthalt in der Negev-Wüste zusammen. Heute verbraucht jeder Israeli im Schnitt viermal soviel Wasser wie ein Palästinenser. Fährt man von Jerusalem aus ins besetzte Gebiet, tauchen neben den alten palästinensischen Orten immer mehr israelische Wehrdörfer auf den Hügeln auf. Und während rund um die arabischen Dörfer nur ein paar Olivenbäume mit ihren graugrünen Blättern stehen, liegen die israelischen Siedlungen schon von weitem sichtbar in sattem Grün von Gärten, Rasenstücken und selbst Blumenrabatten. In Hebron verdorren die Straßenbäume, in der Siedlung Kiriat Arba sind selbst im Spätsommer die Pools hinter einigen Häusern gut gefüllt.

Viel verhängnisvoller wirkt sich allerdings die Subventionierung des Wassers für die Landwirtschaft aus. Während die Palästinenser für den Kubikmeter Wasser umgerechnet 2,80 Mark zahlen müssen, kostet er die Siedler im Schnitt nur die Hälfte, die Kibbuzim von Sede Boquer in der Negev-Wüste sogar nur 20 Aschgorot, umgerechnet 12 Pfennige – viel weniger, als die Aufarbeitungskosten betragen. „Wir können das Wasser nicht zum vollen Preis verkaufen“, klagen Offizielle der Wasserbehörde Mekorot. „Wasser ist Beschäftigungspolitik“ – allein aus der ehemaligen Sowjetunion wandern pro Jahr über 100.000 Juden ein. Verbrauchte Israel 1980 noch 96 Prozent der erneuerbaren Wasservorräte in seinem Herrschaftsgebiet, waren es 1986 bereits 112 Prozent, ein Defizit von 24 Millionen Kubikmeter.

Längst säße das Land, das die „Wüsten zum Blühen“ bringen will, auf dem Trockenen, hätte es sich nicht im Verlauf der Nahostkriege in den Besitz der wasserreichsten Quellen und Flüsse der Region gebracht: Mit den Golan- Höhen hat es die Kontrolle über zwei der drei wichtigsten Quellgebiete des Jordan, der ebenfalls fast aus seinem gesamten Lauf durch israelisch besetztes Territorium fließt. Und auch der Nordrand der „Sicherheitszone“ im Südlibanon wird nicht zufällig vom wasserreichen Litani-Fluß markiert, um den Israel bereits 1978 seinen nominell ehrlichsten Krieg geführt hat: den „Litani-Feldzug“.

Türkische Friedenspipeline

Friedliche Lösungen sind buchstäblich in weiter Ferne: Im Sommer 1991, dem trockensten seit 39 Jahren, verhandelte man bereits mit der Türkei über Wasserimporte. Entweder mit gigantischen Schläuchen übers Mittelmeer oder durch eine „Friedenspipeline“ sollte Euphratwasser aus dem Atatürk-Staudamm nach Israel geleitet werden. Noch schwerer als die Kosten von 20 Milliarden Dollar wog allerdings die Angst vor zusätzlichen Konflikten mit Syrien und dem Irak, da beide Staaten in höchstem Maße von diesem Fluß abhängig sind. Inzwischen machen sich die Folgen der Wasserverschwendung bemerkbar: Durch den Jordan fließen nur noch 0,2 Milliarden Kubikmeter Wasser ins Tote Meer statt wie früher 1,2 Milliarden. Um 16 Meter ist dessen Wasserspiegel in kaum 30 Jahren gesunken; das Klima wird trockener, und schon heute müssen Badegäste stellenweise mehrere hundert Meter über ausgetrockneten Salzschlamm laufen, bevor sie das Ufer erreichen.

Am verheerendsten ist die Situation im Gaza-Streifen. Durch Übernutzung des Grundwassers dringt bereits Salzwasser in die Quellen ein. Massiver Einsatz von Dünger und Pestiziden tun ein übriges, das Wasser ungenießbar zu machen. Die Autoren des Reports der Global Water Summit Initiative prognostizieren: „Wenn die Bevölkerung hier im Jahr 2000 die Millionengrenze erreicht hat und nichts geschieht, wird das Gaza- Wasser unbrauchbar sein“ – für Israelis und Palästinenser.