Kasse statt Klasse

■ Nach dem Blauen Engel folgt seichte Operette am Schauspielhaus Herves 'Der kleine Faust' - ein flacher Spaß zu langweiliger Musik

-ein flacher Spaß zu langweiliger Musik

Erste Frage: Was treibt die Intendanz des Deutschen Schauspielhauses dazu, ihren Haushalt mit Revuen und Operetten zu konsolidieren, die eindeutig an die Reeperbahn gehören? Zweite Frage: Wenn man schon unbedingt leichte Kost für Jedermann produzieren möchte, warum kramt man dann eine derartig langweilig komponierte Opéra Bouffe wie Hervés Der kleine Faust aus? Dritte Frage: Kann man nicht auch in diesem Fall das Stück wenigstens mit Schauspielern besetzen, die singen können? Vierte Frage: Wenn es für all das tatsächlich Gründe geben sollte, bleibt immer noch unerklärt, seit wann schrill-buntes Biedermeier-Theater, kompostiert aus dem Einmaleins der Musical-Regie, der Qualität eines Staatstheaters genügt?

Keine Frage ist es allerdings, daß Der Kleine Faust bestens dazu geeignet ist, lange verloren geglaubte Volksschichten wieder an die Kirchenallee zu locken: Kneipenwirte, Verbindungsstudenten und Schrebergärtner, also gute Deutsche, die ihren Faust aus der Bastei-Lübbe- Zitatensammlung kennen. Diese sind bestimmt überwältigt davon, daß es gleich im Dutzend nackte Hinterteile zu sehen gibt, Zoten in Versen noch viel lustiger sind und alles so schön farbig und bewegt ist. Und schmissige Musik, die mal mehr marscht, dann wieder mehr walzert, mit schlichten Melodien, bei denen man so schön abschalten kann, die juckt zwischen Curry- Wurst und Dosenbier dem Kumpel auch mal einen Superlativ ab.

Dabei geben sich alle so große Mühe, qualifiziert gute Laune zu verbreiten. Roland Renner, als buckliger Faust zehn Minuten unterhaltend, tauscht bei Christa Berndl, alias Mefisto, eine Intelligenz gegen ein Geld und eine Schönheit, weil ihm beim Anblick von Elke Czischeks nacktem Sitzfleisch die Gretchenfrage „Geist oder Geilheit?“ die Hose öffnet. Doch statt in den Schoß der verdorbenen Margarete führt ihn sein Intellektverzicht in die Lustwelt, wo Frauen Puppen sind und Alkoholismus ein Vergnügen ist.

Auf dem Leidensweg zur Monogamie wird sich dann heiter in den Schritt gefaßt und kopflos gereimt. Triefende Ironie und banale Dialoge führen sie schlußendlich gemeinsam in die Hölle. Geschafft.

Lediglich die Choreografie und Sangeskunst des Chorensembles erfreute die „Humorlosen“. Zwar ließen sich auch ihre, wie alle anderen Liedtexte, kaum verstehen (wiewohl man nicht das Gefühl bekam, etwas zu verpassen), aber das Auftreten der jungen Truppe schälte stets etwas ab von der inszenierten Kleinbürgerlichkeit.

Die tapferen Buh-Rufe für Regisseur Ulrich Heising sollten verlängert werden auf die Politik des Hauses: Kasse statt Klasse, eine geistige Hungerkur. Till Briegleb