■ Danziger Hochstaplerin mischt polnisches Parlament auf
: Sie versuchte es mit Französisch

Warschau (taz) – Es war eine seltsame Parlamentssitzung, die da am Mittwoch anlief. Obwohl die Reden zum Thema Rentenreform kaum geeignet waren, den Abgeordneten auch nur ein Schmunzeln zu entlocken, drang allenthalben fröhliches Quieken, ein empörter Aufschrei oder ein herzliches Lachen aus den Parlamentsbänken ans Ohr des Präsidiums. Während einige wenige verbiesterte Politikfans am Mikrophon um die Altersversorgung stritten, hatte sich eine erkleckliche Anzahl Abgeordneter über Polens neuesten Bestseller hergemacht, der nicht zufällig das erotische Leben der polnischen Parlamentarier behandelt.

Politiker nahezu aller Parteien, von der äußersten Linken bis zur äußersten Rechten, wurden so das Opfer einer Danziger Hochstaplerin, deren Namen die Staatsanwaltschaft mit Marzena Domaros angibt, die sich aber Zeit ihres parlamentarischen Daseins Anastasija Potocka nannte und damit in den Hinterköpfen ihrer Opfer nicht nur heftige Assoziationen mit einem der ältesten polnischen Adelsgeschlechter, sondern auch ganz unadlig mit dem Geschlechtlichen überhaupt auslöste. Mit einem gefälschten Personalausweis und einigen Silben Französisch ausgestattet, rückte sie Vertretern von Demokratischer Union, Zentrum, Christnationalen und Exkommunisten auf den Leib, um anschließend die Ergebnisse ihrer Interviews in den Privatgemächern der Abgeordneten in Buchform auf den Markt zu bringen.

Polens Wähler, die sich über die politische Qualität ihrer Abgeordneten ohnehin kaum noch Illusionen hingeben, werden nun auch noch ihrer Illusionen in Sachen Intimleben der Volksvertreter beraubt. Sejmmarschall Kern, ohnehin bereits im Mittelpunkt eines Skandals um sein Töchterchen, das er als entführt suchen ließ, obwohl es nur ausgerissen war, soll die Dame, die sich als Korrespondentin von Le Figaro ausgab, verprügelt haben, nachdem sie ihm zu Diensten war, ein christnationaler Abgeordneter, der als heftiger Streiter für eine drastische Verschärfung des Abtreibungsgesetzes bekannt ist, soll sich heroisch zu seinen Vaterschaftspflichten bekannt haben, sollte sein Interviewtermin mit der falschen Gräfin Folgen haben.

Der Skandal war offenbar von langer Hand geplant, wozu sich die Urheberin auch offen bekennt. Der Abgeordnete Bartoszcze forderte inzwischen die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses, Sejmmarschall Kern, selbst Anwalt, will die Dame vor Gericht bringen und spricht von einer „raffinierten, ekelhaften Attacke“.

Nur Jacek Maziarski, Abgeordneter des Zentrum, bewahrte ruhig Blut. Er sei erschüttert, verkündete er, daß er in Anastasijas Buch nicht vorkomme: „Ich habe mehrmals mit ihr geschlafen, da war sie ganz zufrieden und jetzt will sie sich nicht dazu bekennen.“ Er verstehe nicht, daß die Presse ausgerechnet seine erotischen Abenteuer verschweige: „Verdiene ich etwa keine Glaubwürdigkeit, nur weil ich alt und häßlich bin?“

Glaubt man der falschen Gräfin, so interessieren sich nicht nur die Leser, Opfer und Journalisten heftig für ihre Abenteuer, die in Buchform innerhalb von drei Tagen immerhin 200.000 Abnehmer fanden, sondern auch Polens Geheimdienst, der ihr für mehr Details über das Sexualleben mancher Abgeordneter versprochen habe, ihre ausstehenden Hotelrechnungen zu bezahlen. Dem ganzen die Krone setzte die Staatsanwaltschaft in Danzig auf: sie schrieb Anastasija wegen der Fälschung ihres Ausweises zur Fahndung steckbrieflich aus, obwohl sie gerade ihrer Hotelrechnungen wegen in Haft war und ansonsten auch nicht gerade abgetaucht ist. Sie gibt fast täglich Zeitungs-, Radio- und Fernsehinterviews. Klaus Bachmann