Schönheit und Häßlichkeit

Mit 1:0 gewann der AC Mailand das Topspiel der italienischen Fußball-Liga bei Juventus Turin/ Paul Gascoigne rettete Lazio Rom  ■ Von Matti Lieske

Berlin (taz) – Tief in der Mythologie kramte Giovanni Trapattoni, Italiens jugendfreie Udo-Lattek- Version, vor dem Spitzenspiel der italienischen Liga zwischen Juventus Turin, dem Tabellenzweiten, und Spitzenreiter AC Mailand. „Auch Achilles war an der Ferse verwundbar“, hatte der Juve- Coach entdeckt, „wir hoffen, daß es uns gelingt, die Achillesferse von Milan zu finden.“ Immerhin hatte Trapattonis Team dieses Kunststück schon einmal in der vergangenen Saison fertiggebracht und ist damit die einzige italienische Mannschaft, der es gelang, den AC Mailand in den letzten anderthalb Jahren zu bezwingen. Allerdings hatte sich dieses historische Ereignis im Pokalwettberb zugetragen, in der Meisterschaft ist die Mailänder Nationalspielerfabrik seit nunmehr 45 Spielen ungeschlagen.

Ein Zustand, an dem auch Juventus Turin im heimischen „Stadio delle Alpi“ nichts ändern konnte. Dabei sah es in der ersten Halbzeit ganz danach aus, als könne Juve den Meister ins Straucheln bringen. Jürgen Kohler ließ Torjäger Marco van Basten, der am Mittwoch im Europacup den IFK Göteborg mit vier blitzsauberen Toren ganz allein zur Verzweiflung gebracht hatte, die gewohnte grobschlächtige Sonderbehandlung angedeihen, Frank Rijkaard, Franco Baresi und Gianluigi Lentini waren meist damit beschäftigt, den schnellen Turinern Andreas Möller, Gianluca Vialli und Pierluigi Casiraghi hinterherzulaufen und kamen kaum dazu, ihr gefürchtetes Kombinationsspiel aufzubauen. Doch Möller und Casiraghi versiebten beste Torchancen und das Fehlen von Roberto Baggio und David Platt machte sich immer schmerzlicher bemerkbar. „Mit Baggio und Platt würden wir gewinnen“, sagte Michel Platini, einst lange Zeit Liebling der Juventus-Fans, zur Halbzeit voll düsterer Vorahnung.

In der zweiten Hälfte brach sich dann das Bahn, was Platt „Milans Unbarmherzigkeit im Angriff“ nennt. „Sie denken bloß ans Toreschießen“, sagt der kürzlich am Knie operierte Engländer und genau das taten sie in der 69.Minute, als sich erwies, daß AC-Coach Fabio Capello beim milanesischen Roulette mal wieder genau die richtigen Spieler gezogen hatte. Der Kroate Zvonimir Boban, für Albertini ins Team genommen, legte vor und Marco Simone, anstelle des Franzosen Jean-Pierre Papin an der Seite van Bastens stürmend, schoß das 1:0.

Drei Minuten vor Schluß bekam die Halbzeit-Weissagung Platinis ihre endgültige Bestätigung. Als die Gastgeber einen fragwürdigen Elfmeter zugesprochen bekamen, brach bereits Jubel aus unter den 63.000 Zuschauern, denn Strafstöße sind bei Juventus gemeinhin eine sichere Sache – solange sie der unfehlbare Roberto Baggio schießt. Der aber saß mit gebrochener Rippe auf der Tribüne und so faßte sich Gianluca Vialli ein Herz. Am vergangenen Sonntag im Turiner Derby war der teuerste Glatzkopf der Welt beim 2:1 noch der große Held gewesen und hatte sich nach Spielschluß ausgiebig von den Fans feiern lassen, diesmal schlich er als Jammergestalt vom Platz. Mailands Ersatzkeeper Sebastiano Rossi, für den verletzten Stammtorwart Antonioli eingewechselt, wehrte erst Viallis Strafstoß und dann auch noch den Nachschuß von Casiraghi ab. Es blieb beim 0:1, die erste Heimniederlage von Juventus Turin seit dem Mai 1991.

Die Achillesferse des AC Mailand, der einsam die nächste Meisterschaft ansteuert, blieb diesmal ungeschoren. „Das ist eben Fußball“, meinte Gianluca Vialli zu seinem gescheiterten Debüt in der Rolle des Paris. „Das ist seine Schönheit und seine Häßlichkeit.“

Eine Kombination, die auch Paul Gascoigne höchst wirkungsvoll zu verkörpern pflegt. Im römischen Derby zwischen Lazio und dem AS kam der ungebärdige Engländer allerdings kaum zur Geltung – bis zur 87.Minute. Da hüpfte er plötzlich wie ein Springteufel in eine Flanke von Fuser und köpfte den heißersehnten 1:1-Ausgleich für Lazio. Giannini hatte den AS in der 48.Minute in Führung gebracht. „Es tut mir leid, daß ich nicht gut gespielt habe“, sagte Gascoigne nach dem Match, doch das hatten ihm die Lazio- Fans längst verziehen. Was zählte, war sein erstes Punktspiel-Tor, das die größte Schmach verhinderte, die einem Lazio-Anhänger wiederfahren kann: eine Niederlage gegen Roma.