Panić fordert Milošević heraus

■ Jugoslawiens Ministerpräsident will Serbiens Präsident werden/ In Genf berät die UNO-Menschenrechtskommission darüber, ob in Bosnien ein Völkermord stattfindet

Belgrad/Berlin (taz/AFP/dpa) – Milan Panić, der quirlige machtlose Ministerpräsident Rest-Jugoslawiens, ist für Überraschungen immer gut. Sein neuester Coup: Er kandidiert bei den für den 20. Dezember anberaumten Präsidentschaftswahlen gegen den Amtsinhaber Slobodan Milošević, seinen innenpolitischen Gegner. Aus Protest gegen diesen Schritt reichte der rest-jugoslawische Vizepräsident Oskar Kovac umgehend seinen Rücktritt ein. „Ihre Kandidatur“, so beschied er seinem Vorgesetzten, „hat mich vor ein moralisches Dilemma gestellt.“ Damit sind in den letzten Tagen drei serbische Minister aus dem rest-jugoslawischen Kabinett ausgetreten. Panić beschuldigte sie am Montag, enge Kontakte zu Milošević zu unterhalten. Gleichzeitig versprach er, daß seine Wahl an die Spitze Serbiens all das gutmachen werde, „was die falsche Politik von Milošević ruiniert hat“. Panić, der von keiner Partei getragen wird, ist einer von 13 Kandidaten für das Amt des serbischen Präsidenten. Das Belgrader Wahlamt muß noch über die Zulässigkeit der Kandidatur entscheiden. Sollte diese Entscheidung positiv ausfallen, will der serbische Oppositionsführer Vuk Drašković seine Kandidatur zugunsten von Panić zurückziehen. Da die serbische Opposition aber gespalten ist, hat Milošević gute Chancen, für eine nächste Amtsperiode gewählt zu werden.

In Genf ist unterdessen die UNO-Menschenrechtskommission am Montag zur zweiten Sondersitzung in ihrer Geschichte zusammengetreten. Auf der zweitägigen Dringlichkeitssitzung der von 53 Ländern getragenen Kommission soll die serbische Seite nach einem Resolutionsentwurf, der von 44 westlichen und islamischen Staaten unterzeichnet ist, zum erstenmal klar als hauptverantwortlich für schwerste Menschenrechtsverletzungen in Bosnien verurteilt werden. Zudem sollen die Staaten aufgerufen werden, zu prüfen, ob in Bosnien der Tatbestand des Völkermords (Genozid) an den Muslimen vorliegt.

Der deutsche Delegationschef Gerhart Baum verlangte eine Aufdeckung der Wahrheit über die sich vollziehende Ausrottung der muslimischen Bevölkerung in Bosnien-Herzegowina. Unter den mehr als 140.000 Opfern seien ganz überwiegend muslimische Zivilisten. Der FDP-Bundestagsabgeordnete forderte überdies die Einrichtung eines internationalen Strafgerichtshofs. Baum verurteilte besonders die Massenvergewaltigungen, mit denen die Menschenwürde eines ganzen Volkes gebrochen werde. Deutschland sei bereit, kündigte er an, sofort 1.000 frühere Lagerinsassen aus Bosnien aufzunehmen.

Wegen angeblicher Kriegsverbrechen hat der Militär-Staatsanwalt Bosniens in Sarajevo Ermittlungen gegen den kanadischen UNO-General Lewis MacKenzie eingeleitet. Nach einem Bericht der in Zagreb herausgegebenen Zeitung Vecernji List wird dem inzwischen turnusmäßig abgelösten ersten Kommandeur der Friedenstruppen in Bosnien vorgeworfen, gegen die Genfer Konvention über den Schutz von Zivilisten in Kriegszeiten verstoßen zu haben. MacKenzie soll mit Zustimmung der serbischen Seite im Sommer vier moslemische Mädchen aus dem serbischen Frauenlager „Sonja“ bei Sarajevo geholt haben, um „seine körperlichen Bedürfnisse zu befriedigen“.

Während das Hauptquartier der Friedenstruppen in Zagreb zu den Vorwürfen gegen den UNO-Offizier weiterhin keine Stellung beziehen wollte, vermuteten westliche Beobachter eine „undurchsichtige Schmutzkampagne“ der bosnischen Seite. MacKenzie war schon während seiner Dienstzeit in Sarajevo von den bosnischen Behörden als „Freund der Serben“ angefeindet worden. thos