Fossile Wissenschaftler

■ Leukämie-Streit: Experten sprechen sich gegenseitig die Kompetenz ab

: Experten sprechen sich gegenseitig die Kompetenz ab

Im Streit um die Ursachen der Leukämie-Fälle in der Umgebung von Kernkraftwerken operieren die Experten inzwischen vor allem mit gegenseitigen Verunglimpfungen. Ganz besonders engagiert ficht Professor Horst Jung. Liegen den Untersuchungs-Kommissionen neue Ergebnisse vor, die den Verdacht auf Radioaktivität als Auslöser der Blutkrebserkrankungen verstärken, meldet er sich prompt zu Wort. In seiner neuesten Erklärung zieht der Hamburger Strahlenbiologe über seinen Münchner Kollegen Edmund Lengfelder her.

Lengfelder hat Baumscheiben aus der Elbmarsch mit strahlenempfindlicher Folie untersucht und radioaktive Anlagerungen gefunden. Anfang November berichtete er bei einer Kommissionssitzung in Geesthacht, seine Messungen würden auf Tritium hindeuten. Mit endgültigen Ergebnissen der Baum-Studie ist aber erst Anfang nächsten Jahres zu rechnen.

Das hält den Hamburger Professor nicht davon ab, jetzt schon mal zuzuschlagen. Lengfelders „primitive“ Nachweismethode erlaube zwar, einigen Hokuspokus für die Medien zu inszenieren, schreibt Jung, sei aber für eine wissenschaftliche Untersuchung völlig ungeeignet. Und der Hamburger zieht auch gleich den Trumpf aus der Tasche, mit dem er „wissenschaftlich“ nachzuweisen meint, daß in Bäumen der Elbmarsch keine erhöhte Radioaktivität vorhanden ist: Das Münchner Institut für Radiochemie habe schließlich einen Apfelbaum und eine Kastanie aus der Elbmarsch untersucht und in den Obstbäumen nicht mehr radioaktives Tritium gefunden als in einer unbelasteten Fichte aus dem Schwarzwald. Eigentlich müßte Jung Biologe genug sein, um zu wissen, daß man Äpfel nicht mit Birnen und schon gar nicht mit Nadel- mit Laubbäumen vergleichen soll — denn verschiedene Pflanzenarten reichern radioaktive Stoffe in unterschiedlichem Maße an.

Ist Professor Jung nun ein „professioneller Nebelwerfer“, wie ihn Ralf Stegner nennt, der Sprecher

1des Kieler Gesundheitsministeriums? Oder steckt wissenschaftlich getarnter Lobbyismus dahinter? Denn der Professor ist Mitglied von Töpfers Atom-freundlicher Strahlenschutzkommisssion.

„Es drängt sich unter diesen Umständen auf, daß Sie einer der letzten fossilen Wissenschaftler sind, die nicht nur auf der Lohnliste, sondern auch in der Argumentations-Antiquitätenkiste der Atomlobby stehen müssen“, schrieb am Montag der Geesthachter Arzt Dr. Martin Brenner in einem offenen Brief an Jung. Sachlich zu antworten wäre verfehlt, befürchtet Brenner, weil des Professors Wissensstand „hinter dem zweiten Semester Radioökologie hinterherhinkt“.Wow! Vera Stadie