Hemmungslos zugestochen

■ Clique überfiel polnischen Busfahrer: Zwei Jahre Jugendstrafe für Messerstich

Auf der Anklagebank saß, bleich und reglos, nur der 21jährige Michael B: Alle anderen Mitglieder seiner Clique, die letztlich für den Überfall auf einen polnischen Kraftfahrer im November 1991 verantwortlich ist, saßen im Zeugenstand. „Es liegt nahe, daß der Angeklagte genauso gut Torsten J. hätte sein können“, stellte Staatsanwalt Christian Zorn mit Blick auf den Hauptagitator der Gruppe fest. Und weiter erklärte der Staatsanwalt: „Hier haben hier eine Form der Gewaltausübung, die alltäglich geworden ist und bei der Jugendliche die Grenze - auch untereinander — längst überschritten haben.“

Das Opfer, der 32jährige Andrzej Czeszejko, war am 24.11.1991 beim Verlassen des Bierkellers „Schalander“ gegen 1.30 Uhr aus heiterem Himmel niedergestochen worden. Der sieben Zentimeter tiefe Stich ins Bein durchschnitt ihm kurz über der Kniekehle Arterie und Vene. Czes

zejko überlebte nur, weil sein Reiseleiter und der „Schalander“- Wirt das Bein sofort abbanden und umgehend den Krankenwagen alarmiert hatten.

Viele Operationen waren nötig, um die Venen zu reparieren und das Bein zu retten. Der halbe Fuß mußte amputiert werden, weil die Blutversorgung in die Extremität zu lange unterbrochen war. Acht Monate lag Czeszejko im Bremer Krankenhaus. Seinen Beruf wird der Kraftfahrer nie wieder ausüben können, Rente und Umschulung sind Ziele in weiter Ferne. Vom Täter-Opfer-Ausgleich wird Czeskejko nicht profitieren können: Der greift nur bei Bundesbürgern. Der weiße Ring hatte den Fall im Februar veröffentlicht und mehrfach zu Spenden aufgerufen.

Doch weder das Schicksal ihres Opfers noch die verschiedenen Presseberichte waren Thema in der Jugendclique: Einhellig erklärten sie und Michael B. dem Gericht, das Ganze „verdrängt“ zu haben. Gleich nach der Tat waren die Jugendlichen von der Bildfläche verschwunden. Sie hatten das Opfer in seiner Blutlache liegen lassen. Das Blut war sogar die Treppe zum Bierkeller hinuntergelaufen. Erst im März konnte die Gruppe per Zufall ermittelt werden, als ein Polizist in einer Kneipe mithörte, wie Jugendliche sich der Tat rühmten.

Michael B. war zur Tatzeit 20

Karikatur

Jahre alt und Bundeswehrsoldat. Sein Freund Torsten habe sich an diesem Abend im „Schalander“ wohl prügeln wollen. Dessen „ich hab Ärger“ oder „sowas in dem Dreh“ war Michael Grund genug: „Torsten hätte verloren, ich kenn ihn ja. Dann fühlte ich das Messer in der Tasche.“ Er stach zu.

Die aus Polen angereisten Zeugen, die mit dem Busfahrer im „Schalander“ zuletzt an einem Tisch saßen, erzählten übereinstimmend, daß es keinen Streit gegeben habe. Nur üble, laute Bemerkungen von den Jugendlichen am Nebentisch: „Polnische Schweine“. Als die Stimmung sich zuspitzte, hätten sie geschlossen das Lokal verlassen, kamen aber nur bis zum Ende der Treppe.

Die Jugendlichen berichten dagegen von Streit mit den Polen. Einen Grund dafür oder gar den Ablauf der Auseinandersetzung können sie aber nicht schildern.

Als „gewalttätig und großkotzig“ beschreibt ein anderer Kneipenbesucher das Auftreten der Jugendclique an diesem Abend. Alkohol spielte dabei sicher eine entscheidende Rolle: Schon in ihrer Stammkneipe „Zum Wagenrad“ hatten die jungen Leute zuvor — wie so oft — einen Stiefel geleert, allerhand Bier, aber auch harte Sachen (Michael B.: „mindestens 4 bis 5 Ballentines-Cola pro Stunde“) verkonsumiert.

Was die Gruppe denn ausma

che, welche Interessen sie habe, will der Staatsanwalt wissen. „Zum Fischmarkt fahren, Stiefel trinken, Videos gucken.“ „Es sind einige Menschen dabei, die eher rechtes Gedankengut haben“, erzählt Michael B. von der Gruppe. Vor den anderen habe er bis zu ihrer Verhaftung keine Reue zeigen können, er blieb dabei, daß mit der Messerstecherei „alles seine Richtigkeit hat.“

Reue stellte sich bei Michael B. erst ein, als die Jugendgerichtshilfe ihm ins Gewissen redete, das Schicksal des Opfers thematisierte. Michael legte für sein Opfer ein Sparbuch an. Monatliche Rate: 80 Mark. Mehr hatte er wegen der Verpflichtungen aus einem Versicherungsbetrug und für sein neues Auto nicht übrig.

Künftig wird Michael B. mehr für sein Opfer tun: Das Gericht verurteilte ihn zu zwei Jahren Jugendstrafe, die nur zur Bewährung ausgesetzt sind, damit Michael B. eine Art Wiedergutmachung leisten kann. 20.000 Mark muß er in den nächsten drei Jahren an Andrzej Czeszejko überweisen: „Wie, das ist seine Sache. er ist ja schließlich Kaufmann“, so Richterin Segond. Als „Mittel zur Grenzziehung“ hatte auch der Staatsanwalt zwei Jahre Jugendstrafe gefordert, „um einen Schlußpunkt zu ziehen hinsichtlich gewaltartiger Übergriffe auf andere.“ Birgitt Rambalski