: „Früher gab es immer Nachschlag“
■ Der Haushalt 1993 (Folge 3): Im Gesundheitsbereich geht den freien Gruppen die Luft aus/ Im Verkehrsbereich sorgen Verwaltungen, Bonn und Bezirke für Chaos
Berlin. Beim Gedanken an den Haushalt der vergangenen Jahre befallen den gesundheitspolitischen Sprecher der Fraktion Bündnis 90/Grüne, Bernd Köppl, sentimentale Anwandlungen: „Früher gab es immer Nachschlag.“ Für das Haushaltsjahr 1993 sieht der Mediziner und Politologe dagegen schwarz.
Tatsächlich trifft der Sparzwang den Gesundheitsbereich hart: Wegen der vielen lebensnotwendigen Pflichtaufgaben ist der Spielraum im Etat von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) besonders eng: Den Bau einer Straße kann die Verwaltung zwei Jahre aufschieben, ein Krankenhaus aber nicht von einem auf den anderen Tag schließen. Mit der „geringfügigen Zurücknahme“ seines Etats von 780 Millionen Mark im laufenden auf 770 Millionen Mark im kommenden Jahr glaubt der Senator sich dennoch gut bedient: „Man muß zufrieden sein, wenn nicht deutlich gekürzt wird.“
Im Verteilungskampf des Gesundheitsressorts aber geht es nicht nur um die Konkurrenz gleichwertiger Angebote. Denn um die knappen Mittel streiten neben den Krankenhäusern auch Anbieter ambulanter Versorgung und psychosozialer Hilfen wie etwa Selbsthilfegruppen, Aids- Projekte, Stricher-Betreuer oder das Feministische Frauen Gesundheitszentrum. Und die bleiben nach Ansicht von Kritikern auf der Strecke. Die Summe von 16 Millionen Mark im Haushalt '93 für psychosoziale Versorgung im ambulanten Bereich hält Köppl für viel zu niedrig: „Der Bereich ist ohnehin chronisch unterentwickelt.“
Wie Kritiker Köppl bekennt sich auch der Gesundheitssenator zur ambulanten Versorgung: „Wir müssen im stationären Bereich abbauen.“ Im kommenenden Jahr, so schätzt Luther, werden rund 1.000 Betten aus dem akuten Bereich gestrichen oder „umgebaut“: Alte Menschen etwa sollen bei Hilfsbedürftigkeit nicht gleich ins Krankenhaus, sondern in einer Tagesklinik behandelt werden.
Der Umbau des Gesundheitswesens ist aber eine Aufgabe, die auch von Krankenkassen gelöst werden muß. Auf diese, fordert Bernd Köppl, soll der Senat Druck ausüben, mehr Geld in Aufklärungsarbeit und in den ambulanten Bereich zu stecken. Seine eigenen Verhandlungen mit den Krankenkassen über deren Beteiligung an der Finanzierung von Beratungs- und Aufklärungsarbeit schätzt Senator Luther erfolgreich ein. „Die Kassen“, fordert auch er, „müssen akzeptieren, daß Aids und Drogensucht wie andere Krankheiten behandelt werden müssen.“
Die Arbeit freier Gruppen aber ist durch die „Querschnittskürzungen“ empfindlich getroffen. Beim Feministischen Gesundheitszentrum, das von zweieinhalb beantragten Stellen bloß eine genehmigt bekam, sind nach Auskunft von Mitarbeiterin Martina Schröder nur allernotwendigste Arbeiten gewährleistet. Köppl, in dessen Büro sich die machtlosen Lobbyisten die Klinke in die Hand geben, beobachtet schon Resignationserscheinungen: „Es gibt die Tendenz, daß einige Gruppen die Schnauze voll haben und nicht mehr wollen.“ Hans Monath
Zwei Milliarden Mark für die Verkehrsverwaltung
Der Straßenverkehr und der Verkehrsetat haben eines gemein: Zunehmend verlieren Politiker und Experten bei Stau und Geld den Durchblick. Wieviel wird im Verkehrsbereich ausgegeben? Rainer Giesel, verkehrspolitischer Sprecher der CDU: „Das ist ein weites Feld.“ Thorsten Hilse, Verkehrsexperte der SPD: „Das werden wir noch zusammenrechnen.“ Wenigstens Tomas Spahn, Sprecher der Verkehrs- und Betriebeverwaltung, nennt eine exakte Zahl: „Knapp über zwei Milliarden Mark.“ Doch diese Summe trügt, sie ist nur der Etat von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU). Schließlich wird der Straßen- und Schienenbau auch aus Bonner Töpfen unterstützt – und zu den Bundesmitteln muß der Berliner Finanzsenator sogenannte Komplemetärmittel bereitstellen. Und wenn schließlich aus Plänen Realität wird, zahlt der Bausenator einen Großteil der Bauarbeiten. Und dann gibt es noch die Tiefbauämter der Bezirke, die ebenfalls die Kosten von Baustellen finanzieren.
Dieses Kuddelmuddel hält Michaele Schreyer, haushaltspolitische Sprecherin der Fraktion Bündnis 90/Grüne, aber im Verkehrsbereich für besonders tragisch, weil dieser inzwischen zu den größten Umweltzerstörern gehöre. Wieviel Geld wiederum aufgebracht werden muß, um die ökologischen Schäden wiedergutzumachen, könne man dem Haushaltsplan ebensowenig auf einen Blick entnehmen.
Wird der von der Verkehrsverwaltung vorgeschlagene Etat von den Abgeordneten in dieser Woche verabschiedet, dann schlüsseln sich die über zwei Milliarden Mark dieser Verwaltung überraschend übersichtlich auf. Zwei Milliarden Mark werden für Sachmittel aufgewendet, 30 Millionen kosten die 448 Mitarbeiter, und 16 Millionen sind für Investitionen übrig. Von den Sachmitteln fließen laut Spahn 1,7 Milliarden Mark an die Berliner Verkehrsbetriebe (BVG) weiter.
Wenig Kritik an dem Etatentwurf leisten SPD und CDU, viel die Grünen. Die BVG könne ihre Defizite nicht genügend auffangen, sagt Schreyer, und so müßte der Betrieb das Angebot von Bus und Bahn weiter ausdünnen. Die Landeskasse könnte aber dadurch entlastet werden, daß das Busspurnetz verlängert und die Umweltkarte als Parkticket eingeführt werde sowie bei Bussen an allen Türen ein- und ausgestiegen werden dürfe. Nach Berechnungen der Grünen bringe das Gesparte und die Mehreinnahme über eine Viertel Milliarde Mark.
Doch nicht nur beim Thema BVG hat Schreyer bei CDU und SPD Autolobbyisten ausgemacht. Sie bemängelt, daß die Regierungsfraktion bei neuen Fahrradwegen und Fahrradabstellplätzen Einsparungen in Höhe von 750.000 Mark vornimmt. Absurd findet Schreyer ebenfalls, daß die Untersuchung geplanter Straßenbahnverbindungen 720.000 Mark kosten soll. Schließlich gebe es bereits ein Konzept der BVG. Doch der Senator wolle offenbar lieber begutachten statt handeln. Dirk Wildt
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