Zwischen den Rillen
: Eklektizismus als Abenteuer

■ Jazz zwischen Tradition und Pop: Horvitz, Wilkerson, Baiza

Drei traditionsreiche Zentren des US-amerikanischen Jazz: New York, Chicago und Los Angeles. Mitte der Achtziger legten sie, jeder für sich, los mit der Gründung ihrer Bands: Wayne Horvitz, Edward Wilkerson und Joe Baiza, alle drei Free-Jazz- und improvisationsbegeistert; Horvitz durch seine Ausbildung an der „ahem“, der „post-modern school of experimental improvisation“ in N.Y.C., Wilkerson durch seine Arbeit mit oder in der Big Band von Richard Muhal Abrams in Chicago, und Baiza, der nach einigen Rausschmissen aus konventionellen Rockbands in L.A. zunächst beim Punk eine Zuflucht fand, durch die Musik O. Colemans, die er für sich entdeckte.

Alle drei sind verwurzelt im afroamerikanischen Jazz – und zeigen das auch in ihren jüngsten Werken. Swing-Einflüsse im Stück „Shuffle“ bei Horvitz' Formation The President; einen „Broadway Blues“ spielt Baizas Band Universal Congress Of (im übrigen ein Titel Ornette Colemans, der auch „Lonely Woman“ komponierte, den wiederum Wilkerson mit seinen Eight Bold Souls covert). Und alle drei schöpfen aus ihrer populärmusikalischen Erfahrung: Blues, Soul, ethnische Musik, Rock oder Punk öffnen diese Stile hin zur freien Improvisation. Doch während die Musik von Horvitz eher entspannt und „loft-side sophisticated“ daherkommt, ist sie bei Baiza ein temperamentvoller, blues- und funkgestützter Clubräumer, bei Wilkerson schließlich ein Amalgam der „Great Black Music“, irgendwo zwischen „college concert-hall“ und „ballroom“ angesiedelt.

„Sideshow“ heißt das gerade erschienene Werk der typischen Live-Band Eight Bold Souls. Im Vergleich zum Debütalbum haben Wilkersons „Acht kühne Seelen“ ihre solistischen Qualitäten erheblich verbessert, glänzen im gekonnten Ensemble-Solo- Wechsel ebenso wie in der Fortführung einer Melodie bei gleichzeitiger Beibehaltung des charakteristischen Rhythmus. Weniger auf Effekte aus, wie Lester Bowies „Brass Fantasy“, lassen sie die klassischen Zutaten der New Orleans-Chicago-Achse von Stomp zu Jive Revue passieren. Gelegentlich wird aus dem Jive einer der südafrikanischen Township-Songs und Chicago zu Johannesburg („Glass Breakers“). Oder der Coleman-Standard, die Ballade „Lonely Woman“, wächst plötzlich zur kollektiv improvisierten Hymne mit einem unerhörten Bariton-Sax- Solo Mwata Bowdens.

Colemans akkordschemafreie Musik ist auch beim Universal Congress Of stets zu spüren. Ob implizit, wie auf dem Tributalbum „This Is Mecolodics“, oder explizit, als Coverversion von „Broadway Blues“ auf ihrem jüngsten fünften Werk „The Eleventh-Hour Shine-On“ – der Meister hat die beiden Köpfe der Band angeregt: Baiza an der Gitarre und Steve Moss am Saxophon. Sie trafen einst bei der Punkband Saccharine Trust aufeinander, gründeten UCO, und schon bei ihrem zweiten Album „Prosperous and Qualified“ verschafften sie, damals noch mit Schlagzeuger Jason Khan, James „Blood“ Ulmers Titel „High Time“ mehr Geltung als der Komponist selbst. Die andere Seite dieses Albums enthielt aber auch, etwas weniger programmatisch, in voller Länge free form. Bei der vorletzten Konserve „The Sad and Tragic Demise...“ schließlich coverten sie Shannon Jackson, Henry Threadgill und Odean Pope – mit umwerfendem Ergebnis.

Diesmal ist es John Coltranes „Blues Minor“, in dem Moss sein tiefes Verständnis der „sheets of sound“ darlegen kann. Doch leider fühlt sich Baiza, ansonsten ein virtuoser Solist – möglicherweise durch die Hereinnahme eines zweiten Saxophonisten –, stärker auf den Rhythmus verpflichtet. Auch das Material ist bei „The Eleventh Hour“ vordergründig auf Funk und Blues pur orientiert, so daß UCO nicht an die erfrischende Punk-Integrität und Free-Jazz-Phantasie früherer Alben anschließen kann.

Die Gitarren-Improvisation, einst die große Stärke des UCO, hat auch auf Wayne Horvitz' viertem Opus mit dem Band-Projekt The President eine tragende Rolle inne. Während das erste Album (ohne Titel) das erfinderische Spiel eines Bill Frisell in den Vordergrund stellte, war es bei „Bring Your Camera“ der allgegenwärtige Elliott Sharp (übrigens auf UCOs „The Sad and Tragic Demise...“ unüberhörbar). Beide gehören schon von Beginn an zu The President, ebenso wie Schlagzeuger Bobby Previte und Bläser Doug Wieselman, der auf der neuen CD „Miracle Mile“ erstmals als Solist herausgestellt wird (man/frau höre nur sein entspanntes Klarinettenspiel auf „Variations On A (Blues) Theme By W.C. Handy“).

Gekonnter als je zuvor benutzt Horvitz auf „Miracle Mile“ jegliches Material verschiedener Popularstile, Blues, Rhythm'n Blues, Ethno und Rock, verwischt ihre Ränder und fügt sie zu einer elektronisch modifizierten Klangcollage zusammen. Wer dem Eklektizismus immer noch Originalität und Abenteuer abgewinnen kann, kommt auf seine Kosten. Peter Thomé

Wayne Horvitz/The President: „Miracle Mile“. (CD; ELektra Nonesuch 7559-79278).

Universal Congress Of: „The Eleventh Hour Shine-On“. (CD; Enemy 136).

Eight Bold Souls: „Sideshow“. (CD; Arabesque Jazz 103).