Klicketiklack, klicketiklack

Unter Leitung von Enrico Fermi wurde in Chicago der erste Reaktor zur Produktion der Atombombe in Gang gesetzt/ Ein Bericht über die erste kontrollierte Kernspaltung am 3. Dezember 1942  ■ Von Richard Rhodes

Der Reaktor, der in der düsteren Kälte des Chicagoer Winters losgelassen werden sollte, um Neutronen und Plutonium zu erzeugen, enthielt 698.500 amerikanische Pfund Graphit, 73.000 Pfund Uranoxid und 11.234 Pfund Uranerz. Seine Herstellung hatte etwa eine Million Dollar gekostet. CP-1 war allein und ausschließlich ein physikalisches Experiment, gebaut mit dem einzigen Zweck, die Kettenreaktion nachzuweisen, ungeschützt und ungekühlt. Und Fermi wollte ihn – vorausgesetzt, daß er ihn zu kontrollieren vermochte – nicht heißer werden lassen als ein halbes Watt: kaum ausreichend für eine Blitzlichtbirne.

Fermi diskutierte mit den Wissenschaftlerkollegen Zinn und Volney Wilson den geplanten Tagesablauf. Woods erzählt: „Dann tauchte ein verschlafener Herby Anderson auf ... Herb, Fermi und ich gingen in die Wohnung hinüber, die ich mit meiner Schwester teilte (sie lag in der Nähe des Stadions), um etwas zu essen. Ich machte Pfannkuchen und rührte den Teig so schnell, daß Blasen trockenen Mehls darin blieben. Nach dem Backen knirschten sie ein bißchen zwischen den Zähnen, und Herb glaubte, ich hätte Nüsse in den Teig getan.“

Draußen blies ein rauher Wind. Am zweiten Tag der Benzinrationierung quetschten sich die Chicagoer in Straßen- und Hochbahnen; der Autoverkehr nahm fast um die Hälfte ab. Das Außenministerium hatte an diesem Morgen bekanntgegeben, in Europa seien zwei Millionen Juden zugrunde gegangen; weitere fünf Millionen seien in Gefahr. Die Deutschen bereiteten in Nordafrika eine Gegenoffensive vor; amerikanische und japanische Soldaten kämpften in der Hölle von Guadalcanal.

„Wir arbeiteten uns zurück durch den kalten, knirschenden Schnee ... Die 57. Straße war eigenartig leer. In der Halle der Westtribüne war es so kalt wie draußen. Wir zogen die üblichen grauen (vom Graphit geschwärzten) Laboratoriumskittel an und betraten das Squash-Feld, auf dem drohend der Reaktor in seiner Umhüllung aus schmutzigem, grauschwarzem Ballontuch stand, dann gingen wir auf die Zuschauertribüne hinauf. Die Tribüne war ursprünglich für die Zuschauer von Squash-Spielen gebaut, aber jetzt war sie voller Kontrollinstrumente und Schaltkreise; sie glühten und blinkten und gaben ein bißchen dankbar empfundene Wärme ab.“

Eine hölzerne Strebe, die aus dem Vorderteil des Meilers herausragte, trug automatische Kontrollstäbe, die durch kleine Elektromotoren angetrieben wurden; an jenem Tage standen sie still. ZIP, ein Sicherheitsstab, den Zinn entworfen hatte, stand auf der gleichen Strebe. Eine durch einen Draht gehaltene Sperre, kontrolliert durch ein Meßgerät, hielt ZIP außerhalb des Meilers in Position; wenn die Neutronenintensität den festgelegten Wert überstieg, würde der Draht fallen, und durch die Schwerkraft würde der Stab in die Position rutschen, in der er die Kettenreaktion stoppte.

Ein weiterer Stab war mit einem Stück Seil an das Tribünengeländer gebunden; wenn alles andere fehlschlug, stand einer der Physiker bereit, um das Seil mit einer Axt zu kappen. Er kam sich ziemlich albern vor. Allison hatte sogar auf einem Selbstmordkommando bestanden, drei jungen Physikern, die mit Krügen voll Cadmiumsulfat-Lösung knapp unter der Decke auf dem Fahrstuhl standen, mit dem sie die Graphit-Ziegel hochbefördert hatten. George Weil, ein junger Veteran der Columbia- Zeit, hatte sich auf dem Squash- Feld aufgebaut, um nach Fermis Anordnungen einen der Cadmium-Kontrollstäbe von Hand zu bedienen.

Gegen zehn Uhr begann Fermi mit dem entscheidenden Experiment. Zunächst ordnete er an, daß alle Cadmium-Stäbe außer dem letzten entfernt und überprüft würden, um zu sehen, ob die Neutronenintensität den Messungen Andersons in der Nacht zuvor entsprach. Mit Hilfe dieses ersten Vergleichs stellte Volney Wilsons Team auf der Tribüne in aller Ruhe seine Instrumente ein.

Als Wilsons Team bereit war, schreibt Wattenberg, „wies Fermi Weil an, den Cadmium-Kontrollstab etwa halb herauszuziehen. Dies brachte den Meiler knapp unter den kritischen Zustand. Die Intensität stieg, die Impulszähler klickten kurze Zeit schneller, und dann stabilisierte sich die Geschwindigkeit, wie sie es auch sollte.“ Fermi beschäftigte sich mit seinem Rechenschieber und notierte auf der Rückseite die Zahlen. Er rief zu Weil herüber, er solle den Stab um weitere fünfzehn Zentimeter herausziehen. „Wieder nahm die Neutronenintensität zu und stabilisierte sich. Der Meiler war noch immer nicht kritisch. Fermi war wieder mit seinem Rechenschieber beschäftigt und schien sehr zufrieden mit den Ergebnissen seiner Berechnungen.“

Der Raum stand voller Graphitstaub. Fermi war ruhig. Der Meiler, der sich vor ihm erhob, bis zum Äquator mit ungehobelten 10x12- cm-Kanthölzern ausgekleidet, darüber aufgehäuft das blanke Graphit, wirkte wie ein gefährlicher schwarzer Bienenkorb in einer hellen Schachtel. Die Neutronen waren die Bienen, wirbelnd und heiß.

Wattenberg berichtet: „Nachdem die Instrumente eingestellt waren, wies Fermi Weil an, den Stab weitere fünfzehn Zentimeter herauszuziehen. Der Meiler war noch immer subkritisch. Die Intensität nahm langsam zu – und dann gab es plötzlich einen sehr lauten Krach! Der Sicherheitsstab, ZIP, war automatisch freigesetzt worden. Es war 11 Uhr 30, und Fermi sagte, ,Ich bin hungrig. Gehen wir essen.‘ Die anderen Stäbe wurden wieder in den Meiler gesteckt und abgeschlossen.“

Um zwei Uhr nachmittags wurde die Fortsetzung des Experiments vorbereitet. Arthur Compton kam hinzu. Er brachte Crawford Greenewalt mit, den großen, gut aussehenden Ingenieur, der die Du-Pont-Mannschaft in Chicago leitete. 42 Menschen bevölkerten jetzt das Squash-Feld, die meisten auf der Tribüne zusammengedrängt. Fermi ordnete an, daß alle Cadmium-Stäbe außer einem entfernt würden. Er bat Weil, den letzten Stab in eine der letzten Positionen vom Morgen zu bringen; dann verglich er die Meilerintensität mit den Daten vom Vormittag. Als die Messungen übereinstimmten, wies er Weil an, den Stab in die letzte Position vor dem Essen zu bringen, etwas über zwei Meter weit herausgezogen.

Fermi rechnete erneut. Der Meiler war fast kritisch. Er bat, ZIP hineinzustecken. Dies ließ die Neutronenzähler langsamer werden. „Dieses Mal“, sagte er zu Weil, „ziehen Sie den Kontrollstab um dreißig Zentimeter heraus.“ Weil zog den Cadmium-Stab heraus. Fermi nickte, auch ZIP wurde herausgezogen. „Das wird es bringen“, sagte Fermi zu Compton.

„Zuerst konnte man das Geräusch des Neutronenzählers hören, klicketiklack, klicketiklack. Dann folgten die Klicks einander immer schneller, und nach einer Weile verschmolzen sie zu einem Röhren; der Zähler konnte nicht mehr folgen. Das war der Moment, um auf die Aufzeichnungsrolle umzuschalten. Als die Umschaltung erfolgt war, schauten in der plötzlichen Stille alle gebannt auf die steigende Kurve der Aufzeichnung. Es war eine schreckliche Stille. Jedem war die Bedeutung dieser Umschaltung klar; wir waren im Bereich hoher Intensität, und die Zähler konnten nicht mehr Schritt halten. Wieder und wieder mußte der Maßstab des Aufzeichners geändert werden, um der wachsenden Neutronenintensität gerecht zu werden. Plötzlich hob Fermi die Hand. ,Der Meiler ist jetzt kritisch‘, verkündete er. Keiner der Anwesenden zweifelte daran.“

Fermi erlaubte sich ein Lächeln. Am nächsten Tag würde er dem technischen Rat erklären, der Meiler habe ein k von 1.0006 erreicht. Seine Neutronenintensität hatte sich alle zwei Minuten verdoppelt. Wäre er eineinhalb Stunden außer Kontrolle geblieben, hätte ihn diese Zuwachsrate auf eine Million Kilowatt gebracht. Lange vor einem solchen Extrem hätte er alle Menschen im Raum umgebracht und wäre geschmolzen.

„Dann begannen sich alle zu fragen, warum er den Meiler nicht abschaltete“, fährt Anderson fort. „Aber Fermi blieb völlig ruhig. Er wartete noch eine Minute, dann noch eine, und dann, als die Spannung unerträglich zu werden drohte, befahl er: ,ZIP rein!‘“ Es war 15 Uhr 53. Fermi hatte den Meiler 4,5 Minuten lang bei einem halben Watt laufen lassen; die langen Jahre der Entdeckung und der Experimente waren zu Ende. Menschen hatten die Freisetzung von Energie aus dem Atomkern kontrolliert. Die Kettenreaktion war keine Utopie mehr.

Compton und Greenewalt gingen, als Wilson die Elektronik abzubauen begann. Von seinem Büro aus rief Compton Harvardpräsident James Conant an, der in Washington als Berater von US- Präsident Roosevelt arbeitete. Compton gibt ihren improvisierten verschlüsselten Dialog wieder:

„,Jim‘, sagte ich, ,es wird dich vermutlich interessieren, daß der italienische Seefahrer gerade in der neuen Welt gelandet ist.‘ Dann, halb entschuldigend, weil ich das Geheimkomitee hatte glauben lassen, bis zur Vollendung des Meilers würde noch einige Zeit vergehen, fügte ich hinzu: ,Die Welt war nicht so groß, wie er gedacht hatte, und er kam früher in der Neuen Welt an, als er erwartet hatte.‘

,Ist das wahr?‘ lautete Conants aufgeregte Antwort. ,Waren die Eingeborenen freundlich?‘

,Alle sind sicher und glücklich gelandet.‘“

,Außer Leo Szilard. Szilard hatte an jenem kalten Dezembernachmittag zusammen mit Fermi erreicht, was er sich an einem grauen Septembermorgen, vor einer ganzen Ewigkeit, in einem anderen Land als erster vorgestellt hatte – die Alte Welt, von der Neuen verdrängt; er drückte sich noch auf der Tribüne herum, ein kleiner runder Mann im Mantel.

Er hatte geträumt, die Atomenergie könne die Rüstungsforschung ersetzen und die Menschen von der engen Erde in den Kosmos tragen. Er wußte jetzt, daß sie lange vor einer solchen Reise die Verwüstungen des Krieges steigern und die Menschen noch tiefer in Angst versinken lassen würde. Er blinzelte hinter seiner Brille. Es war das Ende des Anfangs. Es konnte auch gut der Anfang vom Ende sein. „Es waren eine Menge Menschen um uns herum, und dann waren Fermi und ich allein. Ich schüttelte ihm die Hand und sagte, dieser Tag werde wohl als ein schwarzer Tag in die Geschichte der Menschheit eingehen.“

Aus dem Amerikanischen von Meino Büning