Vorwärts ins Mittelalter

Der Wunschtraum der bayerischen Landesregierung: der Fötus als Rechtsperson  ■ Aus München Corinna Emundts

München (taz) – Vorwärts ins Mittelalter schreitet die CSU, wenn es um das Recht auf Abtreibung geht. Oder – in der Sprache der CSU – um den „Schutz des ungeborenen Lebens“. Um diesen zu verbessern, beschloß das bayerische Kabinett eine Gesetzesinitiative, mit der es „das Bewußtsein dafür schärfen“ will, „daß das ungeborene Kind bereits ein Mensch mit eigenen Rechtspositionen ist“. Derzeit wird der CSU-Gesetzentwurf in den Bundesratsausschüssen behandelt. Gleichzeitig beginnt am kommenden Dienstag das Verfahren des Bundesverfassungsgerichtes zum Paragraphen 218, bei dem sich durch ein Ja zur Fristenlösung nicht nur Frauenrechtlerinnen einen Schritt in eine neue Moderne erhoffen.

In die entgegengesetzte Richtung zielt der bayerische Gesetzentwurf: Er sieht unter anderem vor, daß die Abstammung eines Kindes schon vor der Geburt geklärt werden kann und daß das „ungeborene Kind“ bereits drei Monate vor der Geburt Anspruch auf Unterhalt hat. Beim Kündigungsschutz im Mietrecht soll ein Fötus des Mieters berücksichtigt werden.

Gleichzeitig soll der Vermieter wegen eines ungeborenen Kindes auf Eigenbedarf klagen können. Beim Vollstreckungsrecht und bei der Prozeßkostenhilfe sollen nach dem Willen der gebeutelten Regionalpartei Unterhaltspflichten gegenüber ungeborenen Kindern berücksichtigt werden. Die Mutter kommt in der Gesetzesvorlage nicht vor. Vom Vater ist die Rede und vom „ungeborenen Kind“, das durch einen „Pfleger“ gesetzlich vertreten werden soll.

Initiatorin dieser Vorschläge ist die bayerische Justizministerin Mathilde Berghofer-Weichner, bekannt als vehemente Gegnerin des Rechts auf Abtreibung. Mit dem Gesetzentwurf, sagt sie, solle verhindert werden, „daß das ungeborene Kind als Scheinrechtsperson abqualifiziert werden kann, wie dies etwa in der Auseinandersetzung um den Abtreibungsparagraphen 218 leider gelegentlich noch aus Unwissenheit geschieht“.

Daß es der CSU-Ministerin dabei nicht um das Wohl der Schwangeren geht, steht für Monika Frommel fest. „Natürlich soll die Schwangere ein Recht haben, nicht aus der Wohnung herausgeklagt werden zu können, aber doch nicht der Fötus im eigenen Namen“, erklärt die Kieler Professorin für Strafrecht. Die CSU wolle die Rechtssubjektivität des Fötus stärken. „Das ist die Umsetzung der verfassungsrechtlichen Lebensschützerposition, die rechtstechnisch hochbedeutsam ist.“

Weitergedacht bedeute dies die Voraussetzung dafür, daß die Frau kein Recht haben könne, über eine Abtreibung frei zu entscheiden, weil der Fötus ein eigenständiges Recht auf Leben besitze. Weit sei es dann nicht mehr bis zur absurd anmutenden Wunschphantasie einiger Lebensschützer: Der Fötus könnte sein Recht auf Leben durch einen gesetzlichen Vertreter gegen den Willen seiner Mutter einklagen und sie zum „Austragen“ zwingen.

Nach geltendem Recht des Bürgerlichen Gesetzbuches beginnt die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Geburt. Eine Ausnahme gibt es nur beim Erbrecht, „woraus man aber nicht schließen kann, daß der Fötus eine Rechtsperson ist“, so Monika Frommel. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem ersten Urteil zur Fristenregelung 1975 die Frage offengelassen, ob der Fötus ein Recht auf Leben habe.

Findet der aktuelle Gesetzentwurf der CSU eine Mehrheit, so bedeute dies laut der Kieler Juristin, „daß über eine Änderung des Zivilrechts mehr Material geliefert wird für eine spätere Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts, dem Fötus ein Recht auf Leben zuzugestehen“. Und sei der Fötus erst einmal eine Rechtsperson, dann wäre eine Fristenlösung verfassungsrechtlich undenkbar. (Bleibt vielleicht nur noch ein vorgeburtlicher Antrag auf Aberkennung der Grundrechte, fragt sich die Säzzerin).

Zweifelnd äußerte sich auch Monika Lanz-Zumstein, Pressesprecherin des Deutschen Juristinnenverbandes zum Gesetzesentwurf der CSU. „Wenn eine solche Gesetzesinitiative aus Bayern kommt, ist es klar, daß nicht die eigene Entscheidung, sondern die Fremdbestimmung der Frau gefördert werden soll.“

Die CSU scheut sich offenbar davor, Schwangeren finanziell von staatlicher Seite zu helfen. So wurde alles, was den Staat Geld gekostet hätte, vom CSU-Kabinett aus dem Gesetzentwurf wieder gestrichen. Mathilde Berghofer- Weichner mußte darauf verzichten, daß ungeborenes Leben in den Anspruch auf Sozialleistungen miteinbezogen wird. Ebenso darauf, daß Schwangere ein höheres Wohngeld erhalten. Auch bei dem Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz, der ab 1996 bundesweit gilt, machte Bayern einen Alleingang. Bayern sieht sich wegen eines Ausnahmepassus von der Regelung nicht berührt. Damit erspart sich der Freistaat die immensen Kosten, die das Recht auf einen Kindergartenplatz nach sich ziehen würde.

Bei der Opposition im bayerischen Landtag fand der CSU-Gesetzentwurf „zur Verbesserung der Rechtsstellung des ungeborenen Kindes“ wenig Echo. Die Grünen beschwerten sich über die „abgespeckte Version“ des Gesetzentwurfs, in der die finanzielle Hilfe für Frauen fehle. Auf Anfrage sprach die frauenpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag, Christine Scheel, von einer „Gratwanderung“. Die Zerstörung der Einheit Mutter und Kind dürfe keinesfalls unterstützt werden.

Die bayerische SPD hatte keine offizielle Stellungnahme parat. „Wir waren mehr mit der vernünftigen Umsetzung des Paragraphen 218 beschäftigt“, sagt Gerda-Maria Haas, „als uns um solche Nebenkriegsschauplätze zu kümmern.“ Die stellvertretende Fraktions- und Landesvorsitzende der SPD hält den Gesetzentwurf für problematisch. „Die Änderung des Mietrechts bei Schwangeren ist eine Selbstverständlichkeit“, die Trennung von Mutter und Fötus im Gesetzentwurf sei gefährlich. Im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Abtreibungsregelung sei sie jedoch gelassener als bei der Entscheidung über den CSU-Gesetzentwurf im SPD-beherrschten Bundesrat. Sie habe die Erfahrung gemacht, daß insbesondere Männer Angst hätten, Frauen könnten ihnen vorwerfen, in Frauenfragen zu zaghaft zu entscheiden. „Ich bin nicht sicher, ob diese Gesetzesinitiative aus der männlichen Sicht der SPD-Ministerpräsidenten nicht als gute und hilfreiche Tat angesehen wird.“