Vergewaltigungen als eine Taktik im Krieg

■ Ragib Hadžić ist Leiter des „Zentrums zur Erforschung der Kriegsverbrechen“

taz: Über 60.000 Frauen sollen in den serbisch besetzten Gebieten Bosniens im Zuge der sogenannten ethnischen Säuberungen vergewaltigt worden sein. Sie befragen hier in Zenica, in Zentralbosnien, viele Flüchtlinge. Bestätigen Sie die Praxis der Massenvergewaltigungen?

Ragib Hadžić: 60.000 vergewaltigte Frauen – die Zahl ist weit untertrieben. Frauen werden durch die Eroberer in ihren Häusern im Beisein der Familien vergewaltigt, viele von ihnen in Konzentrationslagern und Bordellen mißbraucht. Aber die Zahl der Vergewaltigungen können wir nicht exakt feststellen, in manchen Gebieten wurden fast alle Frauen vergewaltigt.

Frauen und Männer werden bestialisch umgebracht. Wir gehen von bisher 150.000 Toten und 132.000 Verwundeten allein bei der muslimanischen Bevölkerung aus. Wir haben bisher mit Namen und Adressen eine Liste von 12.000 identifizierten Personen erstellt, die ermordet wurden. Die präzise Zahl werden wir erst in 20 Jahren erfahren. Obwohl die Serben es abstreiten, existieren viele Konzentrationslager. In der Stadt Doboi gibt es allein vier Lager, in Jasenica drei, in Bjeljina gibt es drei, selbst auf serbischem Territorium gibt es welche. Es existieren nach sicheren Informationen noch über 30 Konzentrationslager, auch Omarska, das ist nicht stillgelegt. Der Terror geht also weiter.

Wie geht der Terror gegen Frauen vor sich?

In den Konzentrationslagern gibt es spezielle Abteilungen für die Vergewaltigungen. Ich sehe das als Versuch, das moslemische Volk als Ganzes zu erniedrigen. Jede Frau steht in Gefahr, vergewaltigt zu werden, von Zehnjährigen bis Siebzigjährigen.

Wie viele Bordelle gibt es?

Wir haben keine speziellen Informationen über jede Stadt, aber für zehn Städte können wir detaillierte Angaben machen. In Visegrad, Foča, in anderen Städten heißen solche Orte z.B. „Sonia Restaurant“, in Doboi ist es ein Privathaus, der Besitzer heißt Milan Kerkes, auch anderswo gibt es privat betriebene Bordelle mit Gefangenen.

Serben halten in Privatbordellen die Frauen fest?

Die Ehefrau von Kerkes sucht muslimanische Frauen und Mädchen für die Offiziere der Armee aus. Das ist auch keine Überraschung, denn selbst General McKenzie von der UNPROFOR soll sich da bedient haben.

Der ehemalige Oberkommandierende der UNO-Truppen war auch dabei?

Nach den Aussagen eines gefangengenommenen Tschetniks hat General McKenzie das „Sonia Restaurant“ in Doboi besucht und vier muslimanische Frauen ins Auto geladen. Er fuhr sie in einem UNPROFOR-Transporter irgendwohin, seither fehlt jede Spur von ihnen.

Sie sind sich sicher? Kann es nicht eine bewußt gesteuerte Information sein, um einen Keil zwischen die UNO-Truppen und die bosnische Bevölkerung zu treiben?

Diese Information ist von einem Militärgericht verbreitet worden. Wir haben keinen Grund, diese Information anzuzweifeln.

Es gibt auch Informationen, daß Frauen systematisch gezwungen werden, die Kinder nach Vergewaltigungen auszutragen.

Wir hatten gerade gestern eine Frau hier, die dieses Schicksal erlitten hat. Sie kommt aus Foča, sie war von vier Tschetniks vergewaltigt worden, einer von ihnen war der Hausbesitzer, der sie kannte, sie mußte vier oder fünf Monate in einer Art Gefängnis zubringen. Sie versuchte, selbst eine Abtreibung zu machen. Schließlich konnte sie fliehen und kam nach Zenica zu uns und erklärte, sie würde lieber Selbstmord machen, als das Kind zu gebären. Wir baten die Ärzte im Krankenhaus ihr zu helfen.

Ist dies ein Einzelschicksal, oder geht man systematisch vor?

Wir haben Informationen, daß vergewaltigte Frauen nach Serbien gebracht wurden, wo sie so lange festgehalten werden, daß eine Abtreibung unmöglich wird. Die Tschetniks sagen zynischerweise öffentlich, daß moslemische Frauen die besten Serben gebären.

Im Fall Foča sind zuerst Männer in ein Konzentrationslager gekommen. Was ist dann mit den Frauen und Kindern geschehen?

Viele Frauen sind auch in Konzentrationslager gekommen, und dann geschah das, was wir vorhin besprochen haben.

Ihre Institution versucht, Flüchtlinge zu befragen. Wie machen Sie das, was sind Ihre Kapazitäten.

Wir benutzen einen standardisierten Fragebogen, mit über 30 Fragen. Bisher haben wir 15.000 Menschen befragt. So können wir die Ereignisse eines Ortes aus verschiedenen Befragungen manchmal lückenlos, manchmal mit Lücken und manchmal gar nicht rekonstruieren, weil da schlicht niemand überlebt hat oder niemand fliehen konnte. Über 100 Helfer unterstützen uns bei den Befragungen, wir versuchen, per Computer Statistiken zu erstellen. Es ist uns auch gelungen, schon über 1.100 Täter mit Namen und Wohnort aufzulisten.

Interview: Erich Rathfelder