"Töte ihn!"

■ Neutrale Catch-ZuschauerInnen gab es nicht

„Töte ihn!“

Neutrale Catch-ZuschauerInnen gibt es nicht!

„Das war zuviel!“ sagt eine junge Frau noch ganz entgeistert, während sie sich nach dem Weltmeisterschafts-Catchkampf Fit Finlay — Eddie Gilbert (s.Kampfbericht links) mit der aufgewühlten Zuschauermenge nach draußen schiebt. „Ich komm doch nicht hierher, um blutige Köpfe zu sehen. Ich will ja nur, daß die Guten die Bösen aus dem Ring schmeißen.“ Ein anderer aber ist begeistert: „Hut ab vor Gilbert. Wer das schafft, einem Finlay in die Eier treten, der hat was drauf!“ — „Ach, unfair war das“, kontert sein Kumpan, „der ganze Kampf“.

Ja, ja, jetzt meckert die Menge und distanziert sich von dem blutigen Spektakel und hatte es alles ganz regelrecht und handsome haben wollen. Nur weil Finlay dem schottischen Schiedrichter einen Zahn ausgeschlagen hat und auch Gilbert und sein Sekundant k.o. am Ringboden lagen. Keine blutigen Köpfe wollten sie sehen? Wer aber hat aus tausend Kehlen geschrien: „Finlay go home, Iren-Schweine raus!“. Wer hat brüllend aufgejubelt, als der schniegelig blonde Gilbert Finlays Kopf gegen die eiserne Ringstange schlug, so daß dessen Stirn aufplatzte? Wer jubelte abermals auf, als Gilbert regelwidrig immer wieder mit der Faust auf Finlays Wunde einschlug? Alle diejenigen, die aufsprangen und ihre Daumen nach unten hielten, als Fit Finlay blutüberströmt in ernsthaftes Taumeln geriet. Im alten Rom hieß das: Töte ihn! Neunzig Prozent des gut gemixten Publikums, Männer wie Frauen, zeigten alle Anzeichen der allergrößten Lyncheslust. Natürlich alles nur im Spiel...

Und ich, die ich die rasenden ZuschauerInnen berichterstattungsbeauftragt beobachtete? Bei aller prinzipiellen Bereitschaft zur Neutralität wußte ich inzwischen doch, daß Catchen langweilig ist, wenn man sich nicht für einen der beiden Gladiatoren entscheidet. Ich spürte also einen immer stärker werdenden Unwillen gegenüber allen, die dem schleimigen Amerikaner zujohlten. „Fit, du kriegst ihn, du kriegst ihn“, schrie plötzlich ein Mann neben mir, und ich hätte ihn umarmen können. Und als das Blatt sich endlich gegen Gilbert wendete, da hörte ich eine helle Frauenstimme: „Finlay, bring ihn um!“. Das war ich selbst. Und ich meinte es ernst... Wenn auch nur im Spiel. Cornelia Kurth