■ Kommentar
: Auftrag Demokratie

Über Jahre sind die Universitäten fast zu randständigen Existenzen geworden, im Schatten gesellschaftlicher Entwicklungen stehend. Ein Bewußtsein als politisches Subjekt haben die Universitäten nicht; es brauchte schon die langen Jahre der autoritären Führungskunst eines Präsidenten Heckelmann, um die Studierenden der FU zum Streik zu motivieren, oder die groben Interventionen eines Wissenschaftssenators Erhardt, um die Humboldtianer über universitäre Selbstverwaltung nachsinnen zu lassen. Wie ferne Echos einer anderen Zeit wirken deshalb an der FU die Reformprojekte als Ergebnisse des Streiks von 1988. Wenn sich jetzt Veränderungen abzeichnen, Studierende unruhig werden, so geschieht dies unter Druck und ist zum guten Teil äußeren Einflüssen zuzuschreiben. Denn selbst wer bereit ist zum stromlinienförmigen Studium, scheitert derzeit an den Bedingungen. Die Studierenden erleben täglich eine Universität, deren Fassungsvermögen längst gesprengt ist, während die Bildungspolitiker mit unrealistischen Hörerzahlen und Regelstudienzeiten operieren. Diese erlebte Ausblendung der Realität muß die Betroffenen auf die Barrikaden treiben. Trotz des Geredes der Politiker von einem Bildungsgipfel erleben die Studierenden, daß nirgendswo Konzepte universitärer Massenbildung für die Zukunft existieren, sondern höchstens Träumereien über neue Elitenbildung. Es ist daneben vor allem die Krise der gesellschaftlichen Institutionen, das massenhafte Coming-out rechtsradikaler und rassistischer Weltbilder, welches in den Universitäten wieder den Blick auf die Gesellschaft öffnet. Schon denkt man wieder nach über die gesellschaftliche Rolle der Universität, formuliert zaghaft für Hochschulen einen Bildungsauftrag „Demokratie“. Diesen Anfang hat es schon einmal gegeben; zu Zeiten der Großen Koalition Mitte der sechziger Jahre. Die wehrhafte Demokratie, die mit Notstandsgesetzen regieren wollte, der Aufmarsch der NPD wie der von den Studenten in allen gesellschaftlichen Bereichen erlebte Wille zur Verdrängung der NS-Vergangenheit trugen dazu bei, daß sich die Studierenden als politisch handelndes Subjekt begriffen. Eine verunsicherte Demokratie kann heute einen solchen Impuls erneut gut gebrauchen. Gerd Nowakowski