■ Daumenkino
: Verzaubert

Gesittet sitzt Edith in ihrer beigefarbenen Couchgarnitur, im Hintergrund eine gediegene Gobelinstickerei. „Schwul“, sagt sie, und verzieht dabei ihre Mundwinkel, „ist ja ein schreckliches Wort. Ich sag' ja immer ,verzaubert‘.“ Edith ist eine von dreizehn Lesben und Schwulen, die in „Verzaubert“, einem Dokumentarfilm aus der Edition Manfred Salzgeber, über ihr homosexuelles Leben und Überleben in der Nazizeit und den prüden fünfziger Jahren berichten. Eineinhalb Jahre lang fahndete ein neunköpfiges Filmteam in Hamburg nach jenen alten Homosexuellen, die ihre Leidenschaft für das eigene Geschlecht in einer Gesellschaft leben mußten, in der Schwulsein nicht selten zur existentiellen Bedrohung wurde. Mit sogenannten „Freundschaftsehen“ hielt man die Sittenpolizei von sich fern, traf sich diskret in der Roxy Bar oder den Ika- Stuben und überzeugte den wachsamen Vermieter wortreich davon, daß die heimliche Geliebte nur eine ferne Cousine sei. Diese Generation der jetzt Sechzig- bis Achtzigjährigen lebt auch heute noch fast immer fernab der politischen Homo-Szene. Im Supermarkt würde man sie wohl kaum erkennen.

Die zähe Geduld, mit der die neun FilmemacherInnen ihre ProtagonistInnen davon überzeugten, sich ganz entgegen ihrer gewohnten Zurückhaltung öffentlich vor der Kamera zu zeigen, hat sich gelohnt. In dreizehn einfühlsamen Porträts kommen so erstmals Frauen und Männer einer Generation selbst zu Wort, für die Stummheit lange die einzig wirksame Überlebensstrategie war. Mit Witz und Authentizität berichten sie von ihren heimlichen Tête-à-têtes, kleinen Affären und großen Lieben. Der Verfolgung in der Nazizeit, die nicht selten ins KZ geführt hatte, folgte 1949 nahtlos die Ächtung der bundesrepublikanischen Gesellschaft. Nicht wenige Schwule, die Auschwitz überlebt hatten, wählten den Freitod, als die Väter des Grundgesetzes den Nazi-Paragraphen 175 mit unreflektierter Selbstverständlichkeit in die demokratische Rechtsprechung übernahmen.

Durch eine sensible Montage zu einem geschlossenen Ganzen verflochten, fächert der Film einen fast vergessenen – oder nie erinnerten – Teil deutscher Geschichte auf. „Verzaubert“ ist so ein wichtiges Zeitdokument geworden, das nicht nur in Insiderkreisen Beachtung finden sollte. kl