Jegor Gaidar verteidigt seine Reformen

■ Fortsetzung des russischen Volksdeputiertenkongresses in Moskau

Moskau (taz) – „Trotz des ganzen Geredes über massenhafte Unzufriedenheit haben wir es geschafft, soziale Stabilität im Lande zu wahren.“ Dies hielt Jegor Gaidar gestern den Abgeordneten des russischen Volksdeputiertenkongresses in seinem Rechenschaftsbericht entgegen. Jelzins streitbarer geschäftsführender Premier, der im Januar dieses Jahres mit der Durchführung der Wirtschaftsreformen betraut wurde, gab nicht im geringsten klein bei. Obwohl er befürchten muß, seine Prinzipienfestigkeit werde ihm eher zum Nachteil gereichen. Denn die konservative Mehrheit des Parlamentes favorisiert einen Premier aus den Reihen der gemäßigten Opposition.

Gaidar machte deutlich, er werde den Forderungen der Industriellenlobby aus der oppositionellen „Bürgerunion“ nach massiver Subventionspolitik in Form von Krediten nicht entgegenkommen: Schon jetzt befindet sich Rußland an der Schwelle zur Hyperinflation. Daher müsse an der bisherigen strikten monetären Politik festgehalten werden. An die Adresse der Kolchos- und Sowchosvorsitzenden gerichtet, gab er zum Besten: „Trotz der ganzen Schwierigkeiten mit den Reformen hat das russische Volk mehr Voraussicht an den Tag gelegt und sich als schlauer und tüchtiger erwiesen als die Politiker.“

Andererseits beschönigte Gaidar die wirtschaftliche Lage nicht: In seiner Replik auf die Kritik des oppositionellen Parlamentssprechers Chasbulatow sagte er: „Die Situation ist schwierig und dramatisch. Ich würde sogar sagen, sie ist kritisch. Die Ernsthaftigkeit ist so groß, daß ich nicht begreifen kann, warum die Gehilfen des verehrten Vorsitzenden (Chasbulatow) noch bei Daten Zuflucht nehmen müssen, die nicht korrekt sind.“

Im Gegensatz zu Gaidar hatte Jelzin vorgestern in seiner Rede der Opposition einige Zugeständnisse angedeutet: es werde mehr Staatsaufträge und finanzielle Hilfe für Großunternehmen geben. Inwieweit das ein taktisches Manöver war, um die Opposition zu beschwichtigen, bleibt noch offen. Jelzin hat wiederholt bekräftigt, daß er an seinem geschäftsführenden Premier auf jeden Fall festhalten will. Sollte das Parlament Gaidar nicht ernennen, statt dessen einen ihrer Kandidaten lancieren, wird Gaidar trotzdem weiterhin an verantwortlicher Stelle die Reformen betreuen. Klaus-Helge Donath