■ Mit dem Ozonloch auf du und du: 216.000mal Hautkrebs
Kopenhagen (taz) – „Niemand kann aus seiner Haut“, dieses alte Sprichwort wird demnächst eine Renaissance erleben. Ein Fatum für die Ozonloch-Geschädigten der Zukunft – und das sind wir alle. Auf der 4. UNO-Weltkonferenz „über Substanzen, welche die Ozonschicht schädigen“, die jüngst in Kopenhagen stattfand, wurden zum ersten Mal die Ergebnisse der zahlreichen Treffen zum Thema in die zynische Sprache der Statistik übersetzt. Konferenzerfolge beziehungsweise Mißerfolge lassen sich nämlich mittlerweile in Erkrankte und Tote umrechnen. UNO-Wissenschaftler J.C. van der Leun, zuständig für Umweltforschung beim „United Nations Environmental Program“ (UNEP), stellte über die humanmedizinischen Auswirkungen der Kopenhagener Beschlüsse eine bisher unveröffentlichte Bilanz auf. Diese UNO-Bilanz, von Greenpeace zugänglich gemacht, verursacht erst beim näheren Hinsehen eine Gänsehaut.
Das Ausdünnungstempo der Ozonschicht um derzeit sechs Prozent jährlich, so van der Leuns Schätzung, ist um ein Prozent gebremst worden.
Das Team des UNO-Wissenschaftlers geht deshalb davon aus, daß die FCKW-Ausstiegsbeschlüsse in Kopenhagen die schlimmsten Ozonlochschäden um einen Zeitraum von 15 Jahren verkürzen werden. Wäre alles wie bisher weitergelaufen, dann würden jährlich 270.000 Hautkrebsfälle aufgetreten. Da aber künftig die Ausdünnung der Ozonschicht fünf Prozent pro Jahr beträgt, werden zusätzlich „nur“ 216.000 Menschen weltweit an Hautkrebs erkranken. Die Kopenhagener Verhandlungsresultate bewahren nach van der Leun 54.000 Patienten vor dem Hautkrebs (was für ein Prozent der Nicht-Melanom-Patienten tödlich endet).
Weiteres Fazit aus Kopenhagen: Die energiereiche UV- B-Strahlung, die jedes Jahr einen um fünf Prozent geschwächten Ozonschild durchschlägt, wird 25.000 Menschen zu Blinden machen, durch Katarakte und Grauen Star. Auch hier zeigt ein Vergleich der fünf- beziehungsweise sechsprozentigen Ozon-Ausdünnung, daß der „Verhandlungserfolg“ der Regierungsvertreter in Dänemark nur eine Differenz von 5.000 Fällen ausmacht, denn sonst hätte es 30.000 mehr Erblindete pro Jahr gegeben.
Die medizinischen Rechenspiele beweisen vor allem eines: Der in der vergangenen Woche in Kopenhagen ausgehandelte Kompromiß erweist sich bereits in dieser Woche als höchst unzulänglich. Die Zahlen belegen es. Substantielle Neuverhandlungen können nicht, wie geplant, bis 1994 auf sich warten lassen. Was sich bis dahin über unseren Köpfen in der Stratosphäre abspielt, wird allen buchstäblich unter die Haut gehen. Thomas Worm
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