In der Heimat gefoltert, hier überfallen

■ In Berlin wurde das „Behandlungszentrum für Folteropfer“ offiziell eröffnet

Berlin (taz) – Das Schicksal eines Gefolterten in einem Land der Dritten Welt: Ein junger Mann, verhaftet wegen politischer Betätigung, wurde mit Gewehrkolben und Stahlruten geschlagen und solange mißhandelt, bis man ihn wegen körperlichem Verfall entlassen mußte. Nach einigen Monaten wurde er erneut festgenommen und mußte sechs Monate lang tägliche Foltersitzungen miterleben, unter anderem goß man ihm glühende Plastikmasse über den Körper. Als er nach langer Odyssee ins Berliner „Behandlungszentrum für Folteropfer“ vermittelt wurde, konnte er zunächst „nur zögernd über sein Schicksal reden“, berichtete die Privatdozentin Hannelore Burmeister in einem Vortrag anläßlich der offiziellen Eröffnungsfeier des Zentrums am Montag abend. Der Mann habe über Schmerzen geklagt, nach krankengymnastischen Übungen aber noch mehr Schmerzen empfunden. Offenbar, so die Ärztin, sei die Foltersituation bei ihm schon durch Berührungen reaktiviert worden. In langen Gesprächen mit ihm hätten sie schließlich die richtige Therapieform gefunden, inzwischen sei der Patient wenigstens schmerzfrei.

Das kleine Beispiel steht für die enormen Schwierigkeiten bei der Heilung von den Folgen der Folter. Schon das Wort ist eigentlich vermessen: „Völlig zu heilen, gelingt nur ganz selten“, weiß der ärztliche Geschäftsführer des Zentrums, Christian Pross. „Aber wir können versuchen, den Menschen ihre Menschenwürde wiederzugeben.“ Es gehe darum, ergänzt Hannelore Burmeister, daß die Patienten die erlebte „totale menschliche Erniedrigung und Entwürdigung“ vergeschichtlichen und den „Folterer innerlich entmachten“ können. Das Beispiel des jungen Mannes steht deshalb auch für die in Deutschland bislang einmalige ganzheitliche Behandlungsform, Physio- und Psychotherapien miteinander zu verbinden, damit die Gefolterten einen neuen Zugang zu ihrem geschundenen Körper finden. Ein zweiter wichtiger Therapiefaktor ist dabei die Zeit, „Zeit zum Zuhören und Verstehen“, wie es das elfköpfige interdisziplinäre Team formuliert.

Wiewohl erst jetzt offiziell eröffnet, hat das im Klinikum Westend angesiedelte Zentrum schon Ende letzten Jahres die Arbeit aufgenommen und bislang 164 Patienten behandelt, davon 134 Männer und 30 Frauen. Die meisten stammen aus Ländern des Nahen Ostens wie Syrien, Iran oder Irak, einige aus Afrika oder Lateinamerika und immer mehr aus ehemals realsozialistischen Ländern. 24 Patienten sind ehemalige Stasiopfer. Außerdem, berichtete Leiter Christian Pross der taz, hätten sie nach dem Pogrom von Rostock in einem Rundschreiben an alle Ausländerbeauftragten die Behandlung von Ausländern angeboten, die bundesdeutscher Gewalt zum Opfer fielen. „In Einzelfällen“ sei damit bereits begonnen worden. Als besonders bedrückend empfindet der Arzt jedoch, daß einige ihrer Patienten auch schon in der Bundesrepublik attackiert wurden: in der Heimat gefoltert, hier überfallen.

„Vor drei Jahren hatten wir das Gefühl, daß die Bundesrepublik das Erbe des Nationalsozialismus überwunden hätte“, kommentierte der Arzt in seiner Eröffnungsrede, jetzt aber habe die unselige Asyldebatte „die Hemmschwellen niedergerissen“. Vor drei Jahren war es für ihn und andere die Auseinandersetzung mit eben jenem historischen Erbe, mit den ungesühnten Verbrechen der NS-Ärzteschaft, die zur Gründung des Trägervereins für das Zentrum führte. Die Gründung sei „überfällig“ gewesen, so Pross, da sich das Land der früheren Täter jahrzehntelang um die Therapie von KZ- Opfern nicht gekümmert habe.

Inzwischen schiebt der Berliner Senat finanzielle Gründe für die Untätigkeit vor. Wären nicht das Bundesfamilienministerium und das Deutsche Rote Kreuz eingesprungen, die zusammen einen Großteil der jährlichen Kosten von 1,3 Millionen Mark tragen, hätte das Zentrum wohl nie eröffnet werden können. Ute Scheub