■ Keine Kampagnen wie in anderen Ländern, keine dramatische Volksabstimmung. In lustloser Debatte stimmte gestern der Bundestag dem Maastrichter Vertrag über die Europäische Union zu. Ein nicht unumstrittenes Vertragswerk, an vielen Stellen muß nachgebessert werden.
: Ein kleines Ja zu Maastricht

Wo alles wankt, bleibt am Ende doch das Symbol. Die Zukunft des Maastrichter Vertrags stehe angesichts der Schwiergkeiten in Großbritannien und Dänemark „dahin“, meinte die europapolitische Sprecherin der SPD, Heidemarie Wieczorek-Zeul. Trotzdem habe der Vertrag „Symbolwert“, verankere er doch zumindest für die Bürger der Europäischen Union das kommunale Ausländerwahlrecht. Die Grundsätze der Aufklärung – „Freiheit, Gleichheit, Schwesterlichkeit“ – seien heute wichtiger denn je.

Wieczorek-Zeul formulierte damit den breiten Konsens, der die Ratifizierungsdebatte beherrschte. Ob der Vertrag jemals in Kraft treten wird, vermochten die Bundestagsabgeordneten nicht zu prognostizieren, die ihm gestern zustimmten. Doch daß die Zustimmung jetzt wichtiger sei als je zuvor, diese Überzeugung reichte bis zu Bündnis 90 und Grüne. Trotz aller gravierenden Mängel sei Maastricht ein „eindeutiges Signal“, daß der wiedererwachende Nationalismus „keine Chance“ habe, sagte ihr Abgeordneter Gerd Poppe. Die Europäische Union könne sehr wohl zur „westeuropäischen Wohlstandsfestung“ degenerieren, gab er zu bedenken. Dennoch stimmte er, anders als einige Kollegen seiner Gruppe, der Ratifizierung zu.

Alle Demokraten müßten jetzt gegen die rechte Gewalt zusammenstehen, mahnte Außenminister Klaus Kinkel (FDP). Der Bundeskanzler tat, als habe er eine großartige neue Erkenntnis zu verkünden: „Niemand soll glauben, das Gespenst des Nationalismus ist in Europa endgültig tot oder es vagabundiere nur noch auf dem Balkan.“ Freilich reduzierte Helmut Kohl in seiner Rede auch den rechtsradikalen Terror in Deutschland in fast schon liebevollen Worten auf „die paar Rabauken, die uns Sorgen machen“. Unter der übergroßen Mehrheit der europabegeisterten deutschen Jugend, so des Kanzlers beruhigende Worte, seien die Mißratenen klar in der Minderheit.

Auch einige unter den sieben oder acht SPD-Abgeordneten, die eigentlich gegen den Vertrag stimmen wollten, stellten das Symbol über ihre Skepsis. Der SPD-Linke Albrecht Müller beispielsweise beschränkte sich auf eine Stimmenthaltung, weil er es „gerade im Moment“ für gefährlich hält, das Vertragswerk „ausgerechnet an einem deutschen Nein scheitern zu lassen“. In einer dreiseitigen Erklärung gab er freilich auch ausführliche Kritik zu Protokoll. Die Angst der Menschen mit geringem Einkommen sei „sehr real“, denn ihnen bürde der verstärkte Wettbewerb besondere Lasten auf. Die Spaltung Europas in „Profiteure und Opfer der Wirtschafts- und Währungsunion“ werde, warnte Müller, „der Verdrossenheit und der Hinwendung zu rechtsradikalen Ideen neue Nahrung geben.

Direkt europabegeistert zeigten sich selbst die Befürworter nicht. Wieczorek-Zeul bemängelte die fehlende Verankerung von Umwelt- und Sozialunion im Vertragswerk, Helmut Kohl mühte sich, den Bürgern Sorgen um ihre „nationale Identität zu zerstreuen. Kaum ein Redner von Union, SPD oder FDP versäumte es, das Demokratiedefizit der Gemeinschaft zu bemängeln. Nur der SPD-Abgeordnete Peter Conradi begründete mit diesem Mangel öffentlich sein Nein zu einer Ratifizierung. Das Argument, man müsse nun ein Zeichen gegen den aggressiven Nationalismus setzen, sei ernst zu nehmen, aber nicht überzeugend, meinte Conradi. Mit Maastricht den Rechtsruck einzudämmen, sei so, als wolle man „einen Großbrand mit einem löchrigen Eimer ohne Henkel löschen“.

Die Mehrheit der Abgeordneten, zumal in der SPD, freuten sich derweil, wenigstens die gröbsten Löcher gestopft zu haben. Mit den erweiterten Mitwirkungsrechten des Bundestages, die Koalition und SPD im Maastricht-Sonderausschuß vereinbart hatten, sei der „bisherigen undemokratischen Praxis ein Ende gesetzt“ worden, meinte Wieczorek-Zeul. In Zukunft, forderten sie, dürften nationale Hoheitsrechte nur dann auf die EG übertragen werden, wenn gleichzeitig die Rechte des Europaparlaments gestärkt würden.

Die neuen Rechte, die die Länder für den Bundesrat herausgeholt hatten, gingen der FDP eigentlich schon zu weit.“ Laßt um Gottes Willen in München die Finger von der Außenpolitik“, riet der FDP-Abgeordnete Ulrich Irmer. Die Länder, so auch Außenminister Kinkel, hätten Maastricht dazu benutzt, „ihre Beteiligungsrechte über das notwendige Maß hinaus auszudehnen“. Ein anderes, hochwichtiges Problem ließ kurz darauf den Bundeskanzler eigens an das Rednerpult zurückkehren. Gegen Hessens SPD-Ministerpräsidenten Hans Eichel verteidigte er den Plan, den deutschen Gemeinden im geplanten EG-Regionalausschuß drei Sitze zuzugestehen. Kohl: „Zum Europa der Bürger gehört die kommunale Dimension.“ Hans-Martin Tillack, Bonn