"Das Spiel für den modernen Menschen"

■ Unendlich viele Möglichkeiten, alle Steine sind gleich / Das japanische Nationalspiel Go erobert auch die Hansestadt

erobert auch die Hansestadt

Bier und Baguettes stehen auf den Tischen der GO-Spieler im CVJM. Kein Stirnrunzeln, kein Pssst...! , keine ehrerbietige Stille nach Schach-Manier, sondern Gespräche und Gelächter begleiteten die Hamburger GO Meisterschaften.

„GO ist wie Fußball!“ erklärt ein Spieler seine Leidenschaft. „Es hat ganz einfache Regeln“ (vier Grundregeln). Trotzdem erscheint dem Neuling das Brett erst einmal unübersichtlich. Verwirrt durch 19 waagrechte und 19 senkrechte Linien, die 361 Schnittpunkte ergeben und den 181 schwarzen und weißen Steinen, kann sich der GO- Interessierte schon vorstellen, daß „Intelligente Wesen im All GO spielen würden “, wie Emanuel Laska, Schachweltmeister der 20er Jahre, wußte. Ziel ist es, Gebiete zu gewinnen. Die Schnittpunkte und Gegnersteine, die mit Steinen eingekreist sind, werden als Punkte gezählt. Doch wer das 4000 Jahre alte japanische Nationalspiel vollendet beherrschen will, muß früh damit beginnen. Profis in Fernost haben schon mit vier bis sechs Jahren angefangen.

Warum das noch relativ unbekannte Hobby in unseren Gefilden immer beliebter wird, liegt an den vielen Variationsmöglichkeiten im Spiel. Es ist keine Situation bekannt, die doppelt vorkam. Viele Computerfachleute haben schon versucht, die unendlich vielen Varianten in ein Programm zu packen. Doch im Gegensatz zum Schach kann ein Anfänger den Computer nach drei Monaten schlagen.

Nicht selten wird GO mit Schach verglichen. Doch neben Logik und analytischen Fähigkeiten ist beim GO Phantasie, Intuition und Flexibilität gefragt. Einer der Hamburger Denksportler vermutet sogar, daß Charakterzüge des Gegners in seiner Spielweise zu erahnen seien: Stimmungen, wie Angst und Aggression. Nicht die theoretischen Kenntnisse, sondern die Einstellung zum Spiel ist entscheidend. Für Jochen Scheel, einem Mitarbeiter der deutschen GO Zeitung, gibt es vier spezielle Fähigkeiten, die sich der Spieler aneignen sollte. Unter Profis schon gang und gäbe, bei Amateuren jedoch nur äußerst selten zu finden sind: Glauben, Geben, Gönnen und Aufgeben können. Sein Gegenüber ernst nehmen, um Unterschätzung, Leichtsinn und Überheblichkeit vorzubeugen, ihm etwas zu gönnen und zu wissen, wann ein Aufgeben angebracht ist, gilt im Osten als Kunst.

Ein persischer Dichter sieht in Backgammon ein Spiel der Götter, da das Schicksal alles in der Hand hält. Schach hingegen sei das Spiel der feudalistischen Gesellschaft. GO aber sei für den modernen Menschen, da alle Steine gleich sind.

Kirsten Lösch