piwik no script img

Ja, wo bleibt sie denn, die Rezession?

■ Hamburger Arbeitsamt fahndet nach Rezessionsanzeichen und findet keine / Dominierende Dienstleistungssektor stabil

fahndet nach Rezessionsanzeichen und findet keine / Dominierender Dienstleistungssektor stabil

Edzard Reuter, Sozialdemokrat und Chef von Daimler Benz, sieht eine zehn Jahre andauernde Rezession heraufziehen. Das Stimmungsbarometer der Hamburger Wirtschaft befindet sich im freien Fall. Volkswagen feiert Milliardenverluste. Die IG Metall Küste sieht den deutschen Norden schon mitten in der Rezession. München, Frankfurt und Stuttgart, Deutschlands Vorzeige-Boom-Towns, klagen über eine anschwellende Flut der Arbeitslosigkeit.

Und was macht Hamburg? Arbeitsamtschef Klaus Clausnitzer fragt sich mit gespielter Empörung: „Verdammt nochmal, wo bleiben die Arbeitslosen? Alle reden von einer dramatischen Entwicklung, von Rezession — die aber haben wir nicht.“ Die Arbeitslosenstatistik des November 1992 gibt Clausnitzer uneingeschränkt recht: Zwar stieg die Arbeitslosenquote in Hamburg leicht von 7,5 auf 7,6 Prozent. Zwar schrumpfte die Zahl der offenen Stellen auf bescheidene 5634 Stellen — im Vergleich zu den 55603 gemeldeten Arbeitslosen. Auch die Zahl der Kurzarbeiter kletterte im Vorjahresvergleich um immerhin mehr als zehn Prozent auf jetzt 4300.

Aber: Mit Rezession hat das nicht viel zu tun. Allerhöchstens die Vokabel „konjunkturelle Abschwächung“ macht hier Sinn. Leichte Schwächen in der verarbeitenden Wirtschaft und eine nach wie vor stabile Konkjunktur in Hamburgs dominierendem Dienstleistungssektor mit mittlerweile mehr als 75 Prozent der Arbeitsplätze — so lautet die aktuelle Wirtschaftsdiagnose. Ist das Krisengerede also reine Miesmacher- Prophetie, vor der kürzlich Landesbankchef Hans Fahning warnte?

Wie auch immer: Hamburg ist, das spiegeln besonders auch die Arbeitslosenzahlen, derzeit noch immer eine Insel der Seligen im Meer der Wirtschaftsflaute. Nur in Hamburg sind die Arbeitslosenzahlen im Vergleich zum Vorjahr noch gefallen. Das Hamburger Umland, der ehedem fast vollbeschäftigte Speckgürtel, schließt arbeitslosenmäßig zu Hamburg auf. Hamburg, vor kurzem noch vorletzter der West- Länderstatistik, liegt jetzt auf Platz 6 und deutlich vor Flächenländern wie Niedersachsen und Nordrhein- Westfalen.

Empört ist Klaus Clausnitzer dennoch: „Es ist unheimlich kontraproduktiv, gerade jetzt die arbeitsmarktpolitischen Instrumente auszutrocknen.“ Florian Marten

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen