: „Da haben Skins einen aufgeschlitzt“
■ Sechs Monate soziales Training für Huchtinger Skin / Richter: „Defizite im Kopf“
Den Andreas aus Huchting kannten Mario und seine Freunde aus Delmenhorst bereits vom Sehen. Daher wußten sie, daß es Ärger geben würde, als Andreas und seine Gruppe auf dem Volksfest in Stuhr auf sie zukamen. Er sei sofort weggelaufen, erzählt der Zeuge Mike gestern vor dem Bremer Jugendgericht. Sein Freund Mario, der gerade versuchte, ein Fahrrad zu reparieren, „konnte nicht mehr so schnell schalten“.
Zuerst bekam er einen Tritt in den Rücken, dann, als er auf dem Boden lag, einen zweiten gegen den Hinterkopf, berichtet Mario. Und dann muß einer ein Messer gezogen und Mario einen Schnitt am Kinn versetzt haben. Gesehen hat Mario das Messer nicht, doch er ist sicher, daß der Angeklagte Andreas L. der Messerstecher war: „Er stand mir am nächsten.“
Andreas L. bestritt die Vorwürfe. „Wir waren auf dem Fest und haben ein bißchen getrunken. Es gab Auseinandersetzungen, und es kann sein, daß auch jemand aus unserer Gruppe dabei war. Aber ich trage nie ein Messer bei mir.“ Mehr sagte er während der Gerichtsverhandlung nicht.
Auch die Zeugen Hans-Joachim und Michael aus der Huchtinger Gruppe können sich an nichts erinnern. Hinterher habe er gehört, „die Glatzen sollen jemand aufgeschlitzt haben“, erzählt Hans-Joachim, aber „was da konkret abgegangen ist, weiß ich nicht“. Er selbst sei sogar beschuldigt worden, der Messerstecher gewesen zu sein. Von wem, will der Richter wissen. Der Zeuge schaut Andreas an und deutet auf ihn. Der grinst.
Der Messerstich ist nicht das einzige, was dem 19jährigen Andreas L., der im Gerichtssaal eine Perücke trägt, zur Last gelegt wird. Ein paar Monate später, im Oktober, soll seine Gruppe drei Frauen und einen Mann angegriffen haben, die — nach Hoyerswerda — in Huchting antirassistische Plakate klebten. „Wir sind total rechtsradikal“ riefen die Glatzen mit den Bomberjacken. Einer schoß mit der Gaspistole auf den Mann, als er schon am Boden lag. Der Getroffene hat Andreas als den Schützen identifiziert.
„Wir haben den Abend wohl ziemlich viel getrunken“ sagen die drei von der Huchtinger Gang, immer dann, wenn sie sich nicht mehr erinnern können oder wollen. Nur der Vertreter der Nebenklage stellt Fragen nach ihrem politischen Hintergrund. „Wir trinken ganz gern mal einen zusammen und wissen nicht, was wir denken“, sagt einer der Zeugen. Ob Andreas gesagt habe, er sei rechtsradikal? „Ja.“ Und er selbst? „Teils, teils.“ Das geht Verteidiger Peter Bliemeister schon zu weit: „Das wird Gesinnungsschnüffelei“, wirft er dem Vertreter der Nebenklage vor. „Ich denke gar nicht daran, mir diesen Unfug von Ihnen anzuhören.“
Jugendgerichtshelfer Horst Nachtweide beschreibt Andreas' Vater als „bullerig und autoritär“. Die Mutter habe versucht, „durch inkonsequente Milde und Verwöhnung“ auszugleichen. Daß der Vater prügelte, umschreibt er vornehm: „Zu Hause hat Andreas gelernt, Auseinandersetzungen körperlich auszutragen.“
Der richterliche Beschluß: Das Verfahren wird ausgesetzt. Andreas L. sei kein Hauptbelasteter, nur ein Mitverantwortlicher, befindet der Richter. „Um die Defizite im Kopf abzubauen“, muß er einen sechsmonatigen sozialen Trainingskurs absolvieren und 600 Mark an das Berufsbildungswerk des Reichsbunds überweisen. Es bleibt der Vorwurf des Nebenklägers an die Staatsanwaltschaft, sie habe das Verfahren mit einem blinden rechten Auge betrieben. Nur Schlaglichter fielen auf den rechtsradikalen Hintergrund und das Treiben der glatzköpfigen Gruppe in Huchting. Diemut Roether
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