Sucht als Überlebensstrategie

■ "Frauenladen" bietet seit fünf Jahren Drogenabhängigen Hilfe an / Das Thema sexueller Mißbrauch spielt in traditioneller Beratung nur eine untergeordnete Rolle

Berlin. Grund zu feiern beim Berliner „Frauenladen“. Das einzigartige Beratungsangebot für Frauen, die von legalen und illegalen Drogen abhängig sind, begeht sein fünfjähriges Bestehen. In der 1987 gegründeten Frauen- Sucht-Beratungsstelle, die damals bundesweit die erste ihrer Art war, arbeiten drei Sozialarbeiterinnen mit eßgestörten und drogenabhängigen Frauen. Das Projekt versteht sich als feministischer Gegenpol zu den üblichen traditionellen Angeboten im Suchtbereich, in denen sich Frauen mit ihren oft spezifischen Bedürfnissen und Problemen kaum wiederfinden. Weitaus weniger Frauer als Männer nehmen Therapieplätze in Anspruch. Die Gründe dafür sind für Claudia Dieckmann, Sozialarbeiterin im „Frauenladen“, eindeutig. Viele Frauen geraten in der Therapie in die gleiche von Gewalt und Unsicherheit bestimmte Situation, die sie überhaupt erst zur Droge greifen ließ. Zwar hat sich in den letzten Jahren die Arbeit zahlreicher gemischtgeschlechtlicher Suchtgruppen geändert, doch dieser Sinneswandel vollzog sich nach Einschätzung der „Frauenladen“-Mitarbeiterinnen aufgrund finanzieller Anreize. Die Sozialpolitik „entdeckte“ die süchtige Frau und bescherte Projekten, die sich diesem neuen „Objekt“ zuwandten, finanzielle Unterstützung. Für Claudia Dieckmann die „schlichte Vermarktung der Frau, ohne daß sich Konzepte geändert haben“.

Daß süchtige Frauen jedoch besondere Beratung und Therapie benötigen, zeigen die Statistiken des „Frauenladens“. Über 90 Prozent der im Laden betreuten Frauen sind von Gewalterfahrungen betroffen. Der größte Teil davon war sexueller Gewalt und schweren Mißhandlungen ausgesetzt. „Sucht“, so Claudia Dieckmann, „ist für Frauen die Überlebensstrategie bei sexueller Gewalt.“ Charakteristisch sei, daß mehrere Suchtstrukturen nebeneinander existieren, die Hilfesuchenden zu „Allesfresserinnen“ werden. Mädchen und Frauen fangen an abzumagern, zu fressen, zu kotzen, nehmen Tabletten, trinken oder greifen zu härteren Drogen.

Auch wer „zu“ ist, darf bleiben

Insbesondere die Erfahrung sexuellen Mißbrauchs wird in traditionellen Suchtberatungsstellen unzureichend thematisiert. Nicht selten erfahren Frauen in gemischten Gruppen erneut Gewalt oder können der Hierarchie und dem Anpassungsdruck nicht standhalten. Der „Frauenladen“ bietet süchtigen Frauen einen männer- und gewaltfreien Raum. Frauen können, laut Claudia Dieckmann, „so ,zu‘ ankommen, wie sie sind“. Im Laden selbst ist der Drogenkonsum verboten. Ad-hoc-Hilfe, wie die Suche nach Übernachtungsmöglichkeiten, gehört ebenso zum Angebot wie Beratung und in besonderen Fällen langfristige psychosoziale Betreuung. Frauen nutzen den Laden aber auch zum Kaffeetrinken oder um sich auszuruhen. Gerade in den letzten Jahren hat dieses Konzept mehr und mehr an Bedeutung gewonnen. Seit Fall der Mauer ist die Verelendung süchtiger Frauen rapide angestiegen. Obdachlosigkeit, vermehrte Kriminalität, Prostitution und Krankheit kennzeichnen die gegenwärtige Situation. tast