Bootleg-Version von Jugendarbeit

■ „HipHop Berlin“ und „S.W.A.T. Videodokumentation 92“: Zwei Dokumentarvideos beleuchten die Berliner HipHop-Szene

Wo immer die Bronx oder Brooklyn liegen mögen, für Berliner HipHop-Kids beginnt die Straße vor der eigenen Tür: in Kreuzberg, Treptow oder Schöneberg. Das klingt zunächst einmal ein wenig überspannt, ist vor Ort aber durchaus verständlich. Denn HipHop in Berlin unterscheidet sich von seinen großen, bösen Brüdern in New York und Los Angeles. Diesseits des Nordatlantik kommt man ohne Drogen, Gangs und Kriminalität aus, diesen Eindruck hinterlassen zumindest die beiden Dokumentarvideos, die sich mit einer Art Szenebeschreibung von unten beschäftigen.

Die auf der Insel in Treptow ansässige SWAT-Posse veröffentlicht schon seit geraumer Zeit ein monatliches Fanzine, in dem alle Aktivitäten vom regionalen Breakdance-Wettbewerb bis zur Großparty mit Hi-Jack, Stereo MCs oder den Geto Boys festgehalten werden. Auf das Medium Video sind sie eher zufällig gestoßen, vor den jetzt erschienenen VHS-Aufnahmen hatte noch keiner der Macher eine Kamera in der Hand gehabt. Man merkt das. Mit der Beleuchtung klappt es meistens nicht, die Farben drängen sich zwischen schlierendem Rot, blendendem Weiß und unterbelichtetem Blauschwarz zusammen, die Tonspur ist über weite Strecken nicht zu verstehen. So entsteht ein Bild vom Underground, das die SWAT-Macher ziemlich sympathisch mit schonungsloser Unmittelbarkeit umsetzen. Ständig hat man das Gefühl, durch einen verborgenen Schlitz auf das Treiben in irgendwelchen Kellern zu blicken, als wäre man im Besitz einer Bootlegversion von Jugendarbeit. Fast schon Kult, auf jeden Fall zu clever für den Offenen Kanal.

Einen weitaus professionelleren Anspruch als die SWAT-Posse hat Claudia Rhein bei ihrer Darstellung der B-Boy-Realitäten. In mehreren Episoden stellt sie Bands, Breakdancer und Graffiti- Writer aus Berlin vor, ohne allerdings einen Zusammenhang zwischen den einzelnen beteiligten über das Metier hinaus zu (er)finden. Immer um Wirklichkeit bemüht, stellt Rhein kein spezielles Ambiente her. Sie beläßt es fast ausschließlich bei Interviews in Wohnstuben, Studioräumen und dem Breakdance-Training auf einem Schöneberger Sportplatz, während sich die SWAT-Posse sozusagen ständig „on the road“ befindet, auf Reisen, die sie nach München in irgendeine Garage oder nach Potsdam in den Lindenpark führen. Eigentlich sind das alles Beatniks mit Pudelmützen und Baseballkappen.

Für die HipHop-Kids vor der Kamera von Claudia Rhein ist das Leben mit der afroamerikanischen Kultur dagegen längst zur Profession geworden. Juan von den City Rockers zum Beispiel verdient sich sein Geld als Breakdancer an der Deutschen Oper und als Tanztrainer bei einem Schöneberger Jugendprojekt. Er sieht seinen Umgang mit HipHop ganz pragmatisch als Arbeit: „Ich verlange für die Jahre, die ich hart an mir selbst gearbeitet habe, mein Geld beziehungsweise meine Anerkennung. Und das ist ja heutzutage mehr das Kapitalistische, und das kann man als Anerkennung anerkennen.“ Karl Marx goes Beat Street. In Claudia Rheins Video wollen alle mit Rap, HipHop und dem Drumherum irgendwann ihren Lebensunterhalt bestreiten. Die Ernsthaftigkeit dieser Protagonisten hat die Videomacherin übernommen und sich dadurch zu einem Film mit Botschaft hinreißen lassen, der in weiten Teilen mehr aufklärt als unterhält. Politisch korrekte Öffentlichkeitsarbeit, die mit einem Gig der Hype-A-Delics endet, dem wahrscheinlich besten Rap-Act aus Westberlin. Die Prügelei vor der Bühne hat Rhein nicht gefilmt.

SWAT aus dem Ostteil der Stadt haben ganz andere Sorgen, die sich mitunter eher ungewollt in der akribischen Dokumentation von zig Parties widerspiegeln. Zwischen den Bildern geht es um die wachsende Gewalt im Land und den Versuch, mit HipHop zumindest auf Konzertebene so etwas wie eine verläßliche Familie zu schaffen. Daher erstreckt sich dieses Umherziehen durch ganz Deutschland von Stralsund, Magdeburg und München bis Leipzig, Kiel und Rostock: „We're all in the same gang!“ heißt nicht zufällig der Hit im Hintergrund. Insofern ist die Aufklärung in Eigeninitiative um einiges effektiver als jede sauber gefilmte Wirklichkeit. Die Probleme enden zwar auf der Straße, beginnen aber im Kopf. Deshalb sind Statements genauso wichtig wie das Verständnis, oder wie es ein Mitglied der Crew von Cora E. aus Kiel rappt: „Früher hattest du Freunde wie Sand am Meer, heute bist du gegen Nazis, da kennt dich keiner mehr.“ Und freundliche Rostocker Homeboys tanzen dazu. Harald Fricke

„HipHop Berlin“ – Ein Video von Claudia Rhein, Medienwerkstatt eyeland, Boddinstraße 8, 1000 Berlin 44, (6241512), S.W.A.T. Videodokumentation 92, SWAT- Posse Berlin, Bergaustraße 51, O-1195 Berlin (6328503).