Mehr Pflicht zur Faulheit in Deutschland

■ Fast drei Millionen ohne Arbeit / 50.000 Arbeitslose mehr im Westen wegen Konjunkturflaute / In Ostdeutschland leichter Rückgang der Beschäftigungslosen / Mehr Kurzarbeiter, weniger offene Stellen

Nürnberg (dpa/AP/AFP) – Mit fast drei Millionen hat die Arbeitslosigkeit in Deutschland ihren höchsten November-Stand seit der Wiedervereinigung erreicht. Wegen der anhaltenden Konjunkturflaute stieg in Westdeutschland die Zahl der Menschen ohne Arbeitsplatz überdurchschnittlich um 54.000 auf 1.884.600. Dies entspricht einer Arbeitslosenquote von 6,1 Prozent, im Vormonat waren es 6,0 Prozent. In Ostdeutschland ging dagegen die Zahl der Arbeitslosen im Vergleich zum Oktober um 11.000 auf 1.086.500 leicht zurück. Die Arbeitslosenquote beträgt hier 13,4 Prozent. Frauen sind mit 64,7 Prozent nach wie vor am stärksten von der Arbeitslosigkeit betroffen.

„Die Wolken am Himmel der Konjunktur werfen immer längere Schatten auf den Arbeitsmarkt“, kommentierte der Präsident der Bundesanstalt für Arbeit, Heinrich Franke, gestern die Entwicklung in den westlichen Bundesländern. Er betonte, daß keineswegs allein die Jahreszeit für die Lage verantwortlich sei. Für Ostdeutschland unterstrich der BA-Präsident nachdrücklich die Bedeutung arbeitsmarktpolitischer Instrumente. So bewahrten Kurzarbeit, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM), Qualifizierung sowie Vorruhestandsregelungen 1,75 Millionen Menschen vor Arbeitslosigkeit.

Bei der Kurzarbeit verzeichneten die Arbeitsämter den stärksten Anstieg seit zehn Jahren: die Zahl der Kurzarbeiter nahm im November sprunghaft um 46 Prozent auf 478.000 zu. Am stärksten betroffen sind die Branchen Metallerzeugung und -verformung sowie der Maschinenbau. Franke verwies darauf, daß die Kurzarbeit für viele Arbeitnehmer immer länger dauere. Im November fiel für jeden zehnten dieser Beschäftigten mehr als die Hälfte der Arbeitszeit aus. Franke warnte davor, daß Kurzarbeiter spätestens nach Ablauf der derzeit geltenden Bezugsfrist von zwölf Monaten entlassen und arbeitslos würden. Er appellierte deshalb an die Bundesregierung, die Bezugsfrist für Kurzarbeitergeld zu verlängern.

Wenig optimistisch stimmt auch, daß einer wachsenden Zahl Arbeitsuchender ein kontinuierlich abnehmendes Angebot offener Stellen gegenübersteht. Ende November waren es im Westen nur noch 258.700 und damit 14 Prozent weniger als vor Jahresfrist. Im Osten waren im November nur 51.900 Stellen zu besetzen, infolge des Rückgangs an ABM deutlich weniger als vor einem Jahr.

Sämtliche Eckdaten für den westdeutschen Arbeitsmarkt signalisieren eine weitere Zunahme der Arbeitslosigkeit in den kommenden Monaten. Für Westdeutschland rechnet Franke für 1993 mit weiteren 200.000 Erwerbslosen im Jahresdurchschnitt. Dies setze allerdings ein Wirtschaftswachstum von einem Prozent voraus. Sollte das Wirtschaftswachstum nur bei 0,5 Prozent oder gar bei null liegen, werde sich die Arbeitslosigkeit im Westen auf bis zu 2,1 Millionen erhöhen. Im Osten dürfte sich die Zahl der Menschen ohne eine Stelle bei rund 1,2 Millionen einpendeln, was dem Durchschnitt von 1992 entspräche.

Ähnlich düster sind die Prognosen des Sachverständigenrates. Die Wirtschaftsexperten rechnen für 1993 mit weiteren 150.000 Arbeitslosen im Westen und 300.000 in den neuen Bundesländern. Bundeswirtschaftsminister Jürgen Möllemann (FDP) sagte, es gebe im Zuge der Rezession keinen Industriezweig, „der nicht schweren Zeiten entgegengeht“. Ob eine „dramatische Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt“ noch verhindert werden könne, hänge neben der Weltkonjunktur nicht zuletzt von einer maßvollen Tarifrunde 1993 ab.

Die SPD erklärte, die Arbeitsmarktzahlen bestätigten die Tendenz der letzten Monate. Ein weiterer Anstieg sei vorprogrammiert, da die Arbeitsmarktentwicklung der Wirtschaftsentwicklung erst mit zeitlicher Verzögerung folge, so der sozialpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Ottmar Schreiner. Dazu komme, daß sich 1993 die Einschnitte bei der Arbeitsförderung massiv auswirkten. Die Zahlen machten deutlich, daß die Bundesregierung vor einem Scherbenhaufen stehe.