Arbeiten unterm Hakenkreuz?

Das taz-Forum in Frankfurt: Experten aus Theorie und Praxis im Dialog über Gewalt und rechte Jugendliche  ■ Aus Frankfurt Heide Platen

Kann ein Sozialarbeiter, der tagtäglich mit rechtsradikalen Jugendlichen zusammen ist, sich ihren Ansichten entziehen? Anders gefragt: Muß er nicht zumindet ein wenig nach rechts driften, damit seine Klientel ihn überhaupt akzeptiert? Boris G. verneint. Aber, „die prüfen dich ständig“. Sozialarbeiter, „die beim Anblick eines Nazi-Symbols gleich zusammenschrecken, haben bei rechten Jugendlichen keine Chance“. Boris G., der sich in einer hessischen Kleinstadt seit einem Jahr mit einer Gruppe rechter Jugendlicher abmüht, stellt für sich ohne rechtfertigende Untertöne klar: „Ich bin Antifaschist und links und sage meiner Gruppe das auch!“

Boris G. fährt mit der Gruppe „erlebnis-pädagogisch“ in die Berge zum Klettern: „Es geht nicht ohne Vertrauen, wenn dich ein vermuteter Feind am Seil sichert und nicht fallen läßt – und umgedreht.“ Politische Diskussionen vermeidet Boris G.

Dennoch brennen die Probleme mit der rechten Jugend Praktikern wie Theoretikern heiß unter den Nägeln – auch Boris G. Zum Meinungs- und Erfahrungsaustausch zwischen beiden Gruppen lud am Wochenende ein taz-Forum in Frankfurt. Da saßen diejenigen, die sich als Streetworker und Sozialarbeiter in Jugendzentren nicht erst „seit Rostock“, sondern seit Jahren mit Jugendbanden, prügelnden Fußball-Fans und Rechtsradikalen auseinander- und zusammengesetzt hatten. Wer sich mit „diesen Leuten“ befasse, lautete der Vorwurf einiger anwesender Theoretiker, sei selber schon verdächtig, mache sich gemein und unterstütze das Böse schlechthin. Für die Organisatorin des Forums, Renate Aßmus vom Frankfurter Jugendring, kein Anlaß zum Streit, denn: „Der ideale Sozialfall läßt sich eben nicht backen. Die Leute sind nun einmal rechts und haben und machen Probleme.“

Der Begriffsverwirrung um die „aktzeptierende Sozialarbeit“, die entstanden war, weil in den neuen Bundesländern einige Parteigänger von Nazi-Organisationen sich zu Sozialarbeitern ernannt und mit „Staatsknete“ bezahlt worden waren, machte Änne Ostermann von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung (HSFK) ein knappes Ende: „Es geht darum, die Person zu akzeptieren, nicht aber die Ideologie.“

Warum, fragte Diskussionsleiter Klaus-Peter Klingelschmitt von der taz etwas ratlos, greifen die Jugendlichen „ausgerechnet Schwächere“ an? Weil ihre Erlebniswelt, ihre Selbstwahrnehmung reduziert sei, antwortete Männerforscher Michael May von der Universität Koblenz. Es brauche die „rauschhaft erlebte Gewalt“ zur Selbstvergewisserung: „Der Lebenssinn liegt im Tun. Ein Mangel an Erlebnisqualität ist auch immer ein Mangel an Sein.“ Der Körper werde „als einzige Quelle der Lust“ erfahren und entsprechend eingesetzt. Dabei sei „der Kanacke nichts anderes als der Inbegriff eigener Wünsche“ mit seiner vermuteten „Sexualität, Souveränität als Mann und Cleverneß“.

Bestätigt wurde May durch die Streetworkerin Alev Sengönül. Sie arbeitet in Berlin mit türkischen Jugendlichen, zu deren Freizeitbeschäftigungen das „Schwule Klatschen“ gehört – wie bei Rechtsradikalen auch. „Die türkischen Jungs bekämpfen“, stellte sie fest, „einen Teil in sich selbst.“ Freiwillige und unfreiwillige homosexuelle Erfahrungen seien für sie wesentlich häufiger als für Deutsche, „weil die Männer einfach an Mädchen schwerer herankommen oder auch die Frauen anders respektieren“. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer ergänzte, auch der Nationalsozialismus könne seine Verlockungen haben, zum einen als „reale Möglichkeit“ des Machtzugewinns, zum anderen durch die Symbole, die „Sinnlichkeit der Fahne“. Wer sich ausgegrenzt fühle und vielleicht auch schwach, der schlage eben auch zu, weil er einen Sieg über seine Ohnmacht suche. Der wolle einmal nicht verlieren müssen. Eine provozierende These, die Änne Ostermann, die Organisatorin des Forums, da formulierte. Selbst ein höheres Bildungsniveau schließt Frustration und Aggression nicht aus, hat Heitmeyer an einem Münchner Gymnasium festgestellt. Dort lassen Jugendliche in einer fiktiven Schülerzeitung ihren Rassimus in „bösartiger Kreativität“ freien Lauf. Heitmeyer warnte vor der Nagelprobe auf die Toleranz: „Höherer Bildungsstand hält dem Druck der vermeintlichen Bedrohung durch die anderen absolut nicht stand.“

Allen Teilnehmern geriet die Runde auch zur Medienschelte. Die Berichterstattung habe die Jugendlichen aufgewertet. Sie wollten jetzt alle „ins Fernsehen oder in die Zeitung“. Sozialarbeiter Wolfgang Welp registriert in Bremen „einen völligen Rückfall“. Die Aufwertung durch die Medien beeinflusse vor allem die Mitläufer negativ, während die einstigen „Scharfmacher eher abwiegeln“. Eine öffentliche Auseinandersetzung über die Ursachen der Gewalt sei erwünscht, nicht aber ein ständiges Ablichten der Täter.

In der Abschlußrunde kamen Sozial-Theoretiker und -Praktiker überein, daß sich die Gesellschaft unangenehme Fragen gefallen lassen müsse. Eine Gesellschaft, in der niemand mehr hinsieht und in der „blaue Haare schon gar nicht mehr auffallen“, weil die „Schwelle der Provokation zu hoch gehängt ist“, müsse sich auch fragen lassen, „ob sie vielleicht zu tolerant ist“, schloß Organisatorin Änne Ostermann. Die Türkin Alev Sengönül, die Angst und Aggression der Jugendlichen in Berlin-Kreuzberg kennt, machte Ähnlichkeiten im Gewaltpotential zum rechtsradikalen Widerpart aus und fürchtet neue Bandenkriege. Sie riet dazu, Ursachen und Wirkungen nicht zu verwechseln und zu einer genauen Überprüfung oberflächlicher „multikulturellen Utopien“. Männerforscher May verlangte eine Revision „unseres Verhältnisses zur körperlichen Gewalt“. Denn diese werde bei den Jugendlichen längst nicht als so verletzend wahrgenommen wie andere Formen der Gewalt, zum Beispiel Ausgrenzung und Ohnmacht gegenüber Institutionen.