Schraube und Säge

■ Premiere von 'Babylon– mit Werner Schwabs Bühnen-Erstling 'Die Präsidentinnen– auf Kampnagel

mit Werner Schwabs Bühnen-Erstling Die Präsidentinnen auf Kampnagel

Das Heer der wirtschaftlichen Fußsoldaten sitzt in Millionen von Küchen und trägt kleine Tornister von individuellen Richtigkeiten auf dem Rücken. Da diese Päckchen so bizarre Systeme aus Phantasien und persönlichen Lügen sind, daß nie zwei Elende unter derselben Wahrheit erdrückt werden, führen die menschlichen Reste, so sie aufeinandertreffen, ihre Gespräche nur in Form von Monologen oder Streitigkeiten. Als Gebilde ohne Mark sind die verschiedenen Vorstellungen austauschbar, sie können, wie bei Werner Schwab, sowohl Gott wie auch Scheiße heißen. Gemeinsam haben sie nur die bösartige Konkurrenz zu anderen Modellen und ihre sture Verengung.

Daß diese Situation nicht zur Verstummung in den Kleinbürgerstuben und -fluren führt, sondern ganz im Gegenteil - und hier beginnen Werner Schwabs Stücke - zu einer selbsttrunkenen Endlosrede, überrascht einen sowohl im Leben, wo man sich davon bedroht fühlt, als auch im Theater, wo man darüber lacht, wenn es genügend übertrieben ist.

Dieser grauenhafte Zwang zur gegenseitigen Zerfleischung führt auch die drei „Präsidentinnen“ zusammen, die sich treffen, um Ernas Kauf eines gebrauchten Farbfernsehers zu feiern. Putzfrau Erna (Erla Prollius), die geistig magerste, hat sich die Krankheit zur Kur gemacht und verherrlicht ihre Armut als Sparsamkeit. Grete (Brigitte Jan und macht damit eine verheimlichte Sprache sichtbar. Charaktere existieren für ihn eigentlich nicht. Dem entspricht Regisseurin Barbara Neureiter, indem sie ein schrill-komisches Volksstück inszeniert, über das herzlich gelacht werden kann. Auch sie entscheidet sich, wie bisher alle Hamburger Regisseurinnen, die Schwab inszenierten, für die Unterhaltung und gegen das Grauen. Dabei bleiben natürlich die Figuren als Karikaturen im Theaterkäfig und schaffen nicht den Sprung in den Bühnenraum. Damit das aber gelänge, müßte man das Stück gegen den Autor konzipieren, der „für das Theater schreibt“, sonst nichts. Till Briegleb