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Reform der Schule? „Dazu zwingt uns die FDP“

■ „Keiner hat gefragt, was können wir für die Jugendlichen tun“ / Schuldebatte über durchgängige Gymnasien und Schulzentren

Hans Jasper, Lehrer für die Fächer Kunst, Werken bis Computer im HR-Bereich des Schulzentrums Huckelriede, Klassenlehrer der 10 (H) und vor allem mit ganzem Engagement Bezugslehrer des „acc'ademy“-Projektes fürchtet um den Schulfrieden im Stadtteil.

Die Schulreformkommission des Senats hat ihren Vorschlag, an Sek-I-Zentren Gy-Oberstufenklassen anzugliedern, nicht als Koalitionskompromiß verstanden, sondern als Vorschlag, wie das bremische Schulsystem weiterzuentwickeln sei. Welchen Sinn kann das in Obervieland haben?

Hans Jasper: Ich denke, daß es zu einer Weiterentwicklung des bremischen Schulsystems kommen muß. Die Gesellschaft hat sich stark verändert, die Schule so stark nicht. Es war ein Fehler der bremischen Schulreform, Sek-II und Sek-I zu trennen, grundsätzlich: Wenn Jugendliche heute soweit sind, daß sie eigenständig Projekte durchführen können, an denen dann auch wieder Jüngere partizipieren, dann verlassen sie die Schule. Das ist nicht gut. Die Trennung von Sek-I und Sek-II hat in hohem Maße der Schulkultur geschadet.

Warum wird dann die Idee einer Angliederung der Sek-II aus Huckelriede vom Schulzentrum Obervieland aus nicht uneingeschränkt als Chance gesehen?

Den menschlichen Bereich darf man nie außer acht lassen. Da werden Kollegen, die wir ja zum Teil noch gut kennen, gezwungen, wider ihren Willen in unseren Mauern zu arbeiten, dann kann das nur zu unheimlichen Schwierigkeiten führen. Die Jugendlichen haben sich solidarisiert, sie sehen sich als Gruppe, denen ein Willen aufgezwungen werden soll. Das ist eine schwierige Phase, die wir da durchlaufen müssen, wenn das so beschlossen wird. Wenn wir uns schließlich zusammengerauft haben, ist es ein Gewinn für beide Teile. Ich kann mir nicht vorstellen, daß nicht auch die Jugendlichen im Sek-II-Bereich davon profitieren. Sie machen viel im Rahmen der Schulkultur, dafür brauchen sie auch Abnehmer, Zuschauer, Publikum, das davon begeistert ist und sie bestätigt: Das ist toll, was ihr macht. Die Schulöffentlickeit wird größer, und der multikulturelle Ansatz käme in Obervieland mehr zum Tragen.

Was wollen die Schüler selbst?

Wenn man die Schüler befragt, sind die zehnten Klassen eher für ein durchgehendes Gymnasium, die möchten rüber gehen nach Huckelriede. Die Klassen darunter möchten hier bleiben.

Wenn es zu einem durchgehenden Gymnasium in Huckelriede käme, würden die umliegenden Schulzentren sich bedroht sehen. Warum?

Die Gy-Abteilungen der umliegenden Schulzentren würden austrocknen: Kornstraße, Gottfried-Menken-Straße, Habenhausen, Obervieland. Wir würden zu einem reinen HR-Schulzentrum.

Wenn das Schulzentrum Obervieland wählen könnte, dann wäre es dafür, daß alles so bleibt wie es ist?

Ja das sagen alle Beteiligten. Aber dazu zwingt uns die FDP. Das ist der schlechteste Anlaß für eine Veränderung von Schulstruktur. Keiner hat gefragt, was können wir für die Jugendlichen tun. Das ist reine Tagespolitik. Es kann sein, daß es nach der nächsten Wahl wieder alles anders aussieht, und dann kriegen wir den Zauber wieder von vorn. Was Schule braucht, ist Ruhe. um sich weiterzuentwickeln.

Was würde die Integration zwischen den Schularten in Obervieland bedeuten?

Zunächst ist nur daran gedacht, den Unterrichtsort zu verlagern. Sicherlich ist das Leben nicht mehr so ruhig. Siebte Hauptschulklassen benehmen sich schon anders als eine elfte Gymnasialklasse. Sicherlich gibt es da auch Ärger. Das ist natürlich, Die sind verschieden, die Verhaltensweisen.

Gibt es diese Art Streit jetzt auch schon zwischen Gy-Klassen und HR-Klassen?

Die Hauptschüler werden mitunter verächtlich so genannt, und die „Gymmies“ sind von den Hauptschülern genauso angesehen, bei den einen geht die Gewalt, wenn es zu Auseinandersetzungen kommt, über die Fäuste und bei den anderen über das Wort. Die können beide genauso verletzend sein. Das auszuklammern, hätte keinen Sinn. Die treffen sich ja auch im Stadtteil. Immer ist es nicht möglich, sich aus dem Wege zu gehen. Man muß darauf setzen, daß es dann zu gemeinsamen Projekten kommt.

Was hilft es im HR-Bereich, wenn die Gy-Klassen unter demselben Dach der Schule angesiedelt sind?

Im Arbeitsgemeinschafts-Bereich kommt es zu Dingen, die sonst nicht möglich sind. Etwa im Bereich Jugend forscht. Für die Schulkultur ist das wichtig.

Welche Rolle spielt die Nähe der Bildungsgänge für die Durchlässigkeit in der Sek-I?

Eine große. Ich habe immer wieder in einer Klasse einen Schüler oder eine Schülerin gehabt, die den Versuch, aus „H" in „R" oder aus „R" in Gy zu wechseln, nur machen konnten, weil beides unter einem Dach war. Bei zwei Gebäuden hätten die das nicht gewagt.

In der aktuellen Schuldiskussion gilt die Integration von beruflicher Bildung und gymnasialer Oberstufe nicht mehr als erhaltenswerter Zustand.

Soweit ich weiß, war das in Huckelriede auch nicht so weit fortgeschritten, das war häufig mehr ein Gegeneinander. Da ging es auch um die räumliche Konkurrenz. Die Kollegen, die zu uns kommen sollen, sagen nicht: Da geht etwas kaputt.

Jetzt stehen sich zwei Kriegsparteien gegenüber. Obervieland sagt: Wir ziehen Euch zu uns herüber, sonst werden wir reine HR-Schule, und Huckelriede will nicht. Wie geht das am 16. Dezember, wenn die Senatsentscheidung erfolgt ist, weiter?

Die Wortwahl mit „Krieg“ ist unglücklich. Es ist Zeit, in die Zukunft zu denken. Wir müssen vergessen, was um diese Auseinandersetzung gelaufen ist, denn es geht um die Jugendlichen.

Müssen die Lehrer in der Sek-I sich nicht umorientieren, wenn die Anforderungen aus der Sek-II in der Schule stärker präsent sind? Würde sich nicht das Zentum der Schule hin zur Gy- Ausbildung verschieben, auch was die Leistungsanforderungen angeht?

Sicherlich wird es kommen, weil die Mehrheitsverhältnisse dann anders sind. Aber damit müssen wir leben. Genauso wie das Kollegium bisher mit der HR- Mehrheit lebt.

Was würden Sie als Lehrer zu Schülereltern sagen, die sagen: Auf einem durchgängigen Gymnasium lernt man mehr.

Im kognitiven Bereich kann das sein, sicherlich. Aber im sozialen Bereich, im zwischenmenschlichen Bereich, wenn es um die Fähigkeit geht, sich mit Gedanken auseinanderzusetzen, die andere haben, wenn es um die Würdigung der anderen Person geht — dann nicht. Das durchgängige Gymnasium ist in vielen Dingen homogener, aus einem Guß, da treffen sich mehr Gleichgesinnte, das führt aber auch zu Nachteilen. „Verarmung“ möchte ich nicht sagen, das wäre zu hart. Int.: K.W

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