■ Der Ausstieg aus der Atomenergie in der Bundesrepublik beginnt mit einem unideologischen Kompromiß: Historische Wende
Um es gleich vorweg zu sagen: Was da seit gestern als möglicher Ausstiegsfahrplan aus der Atomenergie auf dem Tisch liegt, trägt alle Insignien des Kompromisses. Er wird – auf beiden Seiten der Barrikade – als „faul“ entlarvt werden. Gerade das macht ihn zur Sensation. Die eher unideologische Fraktion der Stromwirtschaft hat erstmals akzeptiert, daß diese Technologie auf Dauer nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung genutzt werden kann. Damit werden die Hohenpriester der Atomenergie von denen zum Teufel gejagt, die mit Strom auch in Zukunft Geld verdienen wollen, egal aus welchen Quellen, egal um welchen ökologischen Preis.
Die Sozialdemokraten – und nicht zufällig spielt mit Gerhard Schröder der Vormann einer rot-grünen Koalition eine so zentrale Rolle – haben sich endgültig von ihrem Nürnberger Beschluß von 1986 verabschiedet, der das Ende der Kernenergie innerhalb von zehn Jahren versprach. Die Sofortaussteiger der Grünen und der Anti-AKW-Bewegung werden Probleme haben, diese Entwicklung als ihren Erfolg zu akzeptieren. Im Kern ist er es: Bei der Verbreiterung der 70er- Jahre-Bewegung auf die Bevölkerungsmehrheit ist der „Ausstiegs-Sofortismus“ auf der Strecke geblieben. Gewonnen aber wurde die realistische Chance, daß der Bundestag mit Zweidrittelmehrheit einen Schlußstrich unter diesen fatalen technologischen Irrweg zieht und dafür einen Fahrplan festschreibt. Um die historische Dimension dieser Perspektive zu verstehen, sei nur daran erinnert, daß das Bonner Parlament frei von Atomgegnern war, als die Anti-AKW- Bewegung die Parole „Atomkraft – Nein danke“ populär machte.
Die Kröten, die die Stromherren Piltz und Gieske auftischen, sind für AKW-Gegner alles andere als leicht verdaulich. Der endgültige Ausstieg wird sich, wenn die Laufzeit der existierenden Meiler tatsächlich auf 35 Jahre festgelegt wird, bis ins Jahr 2023/24 hinziehen. Mindestens genauso schwer wiegt eine andere Bedingung: Kohle- und Gaskraftwerke sollen ohne zeitliche Begrenzung den heutigen Atomstrom ersetzen und die globale Fieberkurve weiter anheizen. Eine Strategie der Strom- und Energieeinsparung, die allein die Perspektive einer Energiewirtschaft auf der Basis regenerativer Quellen eröffnet, kommt in den Planspielen der beiden Stromkonzerne nicht vor. Beide Zumutungen dürfen in den anstehenden Detailgesprächen beim Bundeskanzler so keinen Bestand haben. Die Gefahr allerdings liegt auf der Hand, daß Gerhard Schröder und Joschka Fischer als Protagonisten der AKW-Gegner am Verhandlungstisch mit je einem – zugegeben besonders wohlschmeckenden – Bonbon über den Tisch gelockt werden sollen: Für den Niedersachsen winkt das Ende des in Gorleben geplanten Endlagers, für Joschka Fischer der Auslaufbetrieb für die Brennelementeschmiede in Hanau.
Doch wie auch immer das Verhandlungsergebnis schließlich ausfallen wird, hinter die nun veröffentlichten Positionen wird der atomindustrielle Komplex nur schwerlich zurückfallen können. Seit gestern ist Atomenergie in Deutschland eine Übergangsenergie. Der Verweis auf „langfristige Kernenergie-Optionen“ und neue, möglicherweise wirklich sicherere Reaktorkonzepte dient mehr der Befriedung der Reaktortechniker bei Siemens und anderswo denn dem ernsthaften Willen zu einer späteren Renaissance. Die Protagonisten der Atomwirtschaft, die sich gestern eher gedämpft zu Wort meldeten, ahnen sehr wohl die Dynamik der nun angestoßenen Entwicklung. Deshalb wehren sie sich gegen den bevorstehenden Kompromiß. Sie wissen: Wenn ein Atomkraftwerk nach dem anderen vom Netz geht, ohne daß irgendwo die Lichter ausgehen, wird am Ende die Macht des Faktischen siegen. Für einen Neuanfang wird niemand mehr zur Verfügung stehen. Die Bevölkerung sowieso nicht, die Parteien nicht und auch die Stromwirtschaft selbst nicht, die allmählich erkannt hat, daß es nirgends nerviger ist, Rendite zu machen, als auf dem Feld der Atomenergie.
Der bevorstehende Atomkompromiß ist Ergebnis pragmatischer Politik. Ob dieser Weg bei diesem Gegenstand verantwortet werden kann, entscheidet sich genau an dem Tag, an dem der letzte Meiler ausgeknipst ist. Solange droht der Super-GAU. Gerd Rosenkranz
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