„Nüchtern bin ich ein netter Mensch“

Wolle aus Mölln: Ein rechtsradikaler Skinhead sucht „Ordnung“ durch Prügel und träumt von einer ganz normalen Familie/ Dem Brandstifter Christiansen hätte er die Tat nicht zugetraut  ■ Aus Mölln Bascha Mika

Wolle ist ein rechter Hänfling. Schmächtig, mit zarten Knochen und der haarlosen Haut eines Mädchens. Wolle ist 19 und fühlt sich als Mann. Wenn es zum Kampf kommen sollte, „bürgerkriegsmäßig um die politische Richtung“, ist er dabei, sagt er. Sein Lieblingswort: „Ordnung“, „Normalität“. Seine Gesinnung: nationalsozialistisch.

Wolle lebt im holsteinischen Mölln. Die Kleinstadt hat einen harten Kern von fünf bis sechs rechtsradikalen Jugendlichen. Wolle – „nüchtern bin ich ein netter Mensch“ – gehört dazu. Mit 40 bis 50 „national bis nationalsozialistisch“ eingestellten Jungmännern der Umgebung pflegt er „Kameradschaft“. „Wir bauen keine Scheiße. Wir haben unsere Musik und unsere politische Haltung.“

Was denkst du über den Brandanschlag?

Ich fand ihn hinterhältig und feige.

Sag bloß, du hast Mitleid mit Ausländerinnen?

Weil eine Frau und Kinder getötet worden sind, dazu noch Integrierte.

Und wenn deine Freunde losziehen würden, um ein Flüchtlingsheim anzugreifen?

Würd' ich mich stillschweigend raushalten.

So ein Überfall ist doch auch hinterhältig und feige.

Meistens wird es nur bei den Scheinasylanten gemacht. Bei denen stört es mich nicht.

Das Erwachsenwerden ist an Wolles Gesicht vorübergegangen. Es ist glatt und bleich wie ein Gipsabdruck. Kein Merkmal, das es prägt, kein Charakterzug, der seine Spuren gegraben hat, eine Oberfläche ohne Hinweis. Was immer in ihm lebendig ist, hat seinen Weg nach draußen nicht gefunden. Es ist das Gesicht eines Vierzehnjährigen ohne Vergangenheit. Doch hinter der Leere lauert die Aggression.

Im Möllner Jugendheim hat er seit drei Jahren Hausverbot wegen einer Schlägerei. In seiner Lehre als Kfz-Mechaniker klaut er im Suff ein Auto und fährt es zu Schrott. Einem „linken Deutschen“ schlitzt er den Hals auf. Er überfällt seinen Vater und prügelt ihn halb tot. „Hat mich nicht gestört. Da war Haß!“ sagt Wolle heute, und seine Stimme bleibt wie seine Miene ohne Bewegung.

Ein halbes Jahr saß Wolle im Jugendknast, ist seit acht Monaten auf Bewährung draußen. Er lebt vom Arbeitslosengeld und wartet darauf, daß er im Januar zum Bund kommt. Militär gefällt ihm, er hat sich für vier Jahre verpflichtet. „Er ist nicht besser geworden“, sagt sein Vater, „er ist und bleibt ein Verbrecher.“

Mit dreizehn stieß Wolle zu einer Gruppe von Möllner Skins. Sie kamen gerade recht. Schon früher hatte er „Ärger mit den Türken“ in seiner Schule. „Die fühlten sich so stark in der Gruppe“ und machten deutsche Mädchen an. Nicht nur das Land hatten sie okkupiert, jetzt nahmen sie dem deutschen Mann auch noch das weibliche Territorium.

Wolle wollte auch stark sein, rasierte sich den Schädel. Da war der „Skin-Kult“, die politische Haltung und „Kameraden, auf die man sich hundertprozentig verlassen konnte“. Nie mehr allein und raus aus dem Gefühlsstau. Nach der Scheidung der Eltern war das Chaos der Leere über ihn hereingebrochen. Einer Leere, die nach innen schlug. Der „Kult“ bot Struktur und einen Standpunkt. Der Feind kommt über die Grenzen, und wir sind die besseren Deutschen.

Es gab nicht allzu viel Randale, und zunächst auch wenig Ärger mit der Polizei. Doch die Realschule brach Wolle ab, ging auf die Hauptschule und machte dort seinen Abschluß. Mit 17 hörte er auf mit Glatze – „auch wegen Arbeit“– und macht seitdem auf Psycho-Billy: die Haare einen Zentimeter länger, der Pony aufgesprayt, die politische Gesinnung unverändert.

Was Wolle an Statur und Persönlichkeit nicht bieten kann, bietet er durch großkotzige Visionen vom „Leben und Kämpfen fürs Vaterland“ an. Mit leise verhaltener Stimme mischt er eine Portion Blut-und-Boden-Sumpf, einen Schuß „Auschwitzlüge“, ein bißchen Hitler, der „normalerweise nicht schlecht war“, sondern „nur Fehler gemacht hat“, und fügt das Ganze „in die Grenzen von 37“. Dazu noch, „daß man sich nicht ausbeuten lassen darf, nur weil wir einen Krieg verloren haben“, die Ausländer „wollen nur unser Geld“, und wenn sie „nicht freiwillig rauswollen“, gibt es „Gewalt“. Seit 1989 ist Wolle in der DVU.

Seit wann kennst du Michael Peters und Lars Christiansen?

Als ich 16, 17 war, bin ich ab und an zu Pitti nach Gudow gefahren. Christiansen ist seit Jahren unter uns Kameraden dabei.

Was ist Peters für ein Typ?

Nett, höflich. Hat sich als Skin bezeichnet. Konnte ganz in Ordnung sein. (grinst) Ist aber nicht der Klügste. Hatte nicht allzuviel Ahnung von Politik. Wollte aber aktiv kämpfen für seine Einstellung. Hat viel gesoffen.

War er eine Führerfigur?

Wenn ich ehrlich bin, hat er mich nicht beeindruckt, hab' ihn nicht ernst genommen. Die anderen Möllner auch nicht. Er war für uns alle ein Schwachkopf.

Hättest du ihm die Mordbrennerei zugetraut?

Pitti vielleicht, weil er nicht so anerkannt war und sich damit hochspielen wollte. Aber Christiansen auf keinen Fall. Der hat sich immer zurückgehalten, sich nie geprügelt. Der hätte so was nicht nötig.

Peters wird als Kopf einer terroristischen Gruppe gehandelt.

Darüber hab' ich auch schon gelacht. Der doch nicht!

Nach dem Attentat von Mölln blieb Wolle erst mal zu Hause. Tagelang traute sich niemand aus der rechten Szene auf die Straße. Er habe allerdings „nur ein bißchen Angst“ gehabt, gibt der Schmächtling sich mutig – in seinem Zimmer mit Reichskriegsflagge und Hosenträgern in Schwarzrotgold. Seine Mutter, bei der er lebt, war ihm keine große Stütze. „Du mußt selber wissen, was du tust“, ist ihre Standardantwort, seit er ein Skin wurde. „Wenn du ein Rechter sein willst, mußt du es durchstehen.“ Daß die Rechten jetzt mehr unter Druck geraten, findet Wolle „ungerecht“. Schließlich hätte die Polizei sie bisher mehr oder weniger „machen lassen“, und „plötzlich gibt es Mordanklagen, nur weil sie in der Weltöffentlichkeit unter Druck stehen“.

Wolle träumt kleine Träume von einem „ordentlichen Beruf“ mit „normaler Familie“ und „normalen Kindern“. Das Ganze unter der großen Autorität eines starken Staates, „wo Recht und Ordnung herrscht, wir nicht ausgebeutet werden, die Politiker fürs Volk sind, es keine Kriminalität, dafür aber die Todesstrafe gibt“.

Wolle sehnt sich nach der Nazizeit, „weil das damals ein Arbeiterstaat“ war und heute jeder zusehen müsse, wo er bleibt. „In der Nazizeit wäre mir sicher auch das mit meinem Vater nicht passiert. Denn da wird man doch gleich als Kind in die richtige Bahn gelenkt und wird einem gesagt, was man tun soll.“ Und dann fällt ihm auch noch eine Rechtfertigung seiner Untaten ein, wie sie schon mancher erdichtet hat: „Jetzt sind wir vielleicht kriminell. Aber das ist der politische Kampf. Wenn wir unser Ziel erreicht haben, ist es damit vorbei.“