Rußlands Gesetzgeber proben den Aufstand

■ Zentristen und Rechtsradikale wollen Präsident Jelzins Macht nachdrücklich beschneiden und die Wirtschaftsreformen zurückschrauben/ Wütende Reaktionen

Moskau (taz) – Das Stimmergebnis im Russischen Kongreß spricht eine klare Sprache: Zentristen und Rechtsradikale schlossen sich zusammen, um die Regierung Boris Jelzins zum Einlenken zu bewegen. Einen Sturz der Exekutive bedeutet die Resolution ausdrücklich nicht, ansonsten läßt sie jedoch keinen Zweifel aufkommen: Hier verteidigen Vertreter der kollektiven Landwirtschaft und Industriebosse ihre Sonderinteressen, indem sie scheinheilig das Gemeinwohl vorschieben.

Noch ist die Resolution nicht endgültig verabschiedet, sie soll Punkt für Punkt abgestimmt werden. Doch schon ihr allgemeiner Diktus wird so kaum vom Kabinett hingenommen werden. Zumal auch die parallel verlaufenen Verfassungskorrekturen eine klare Beschneidung der bisherigen Machtstrukturen im Auge haben. Das Parlament will nicht nur das Ministerkabinett ernennen können, sondern auch Jelzins Gouverneure in den Provinzen beseitigen, die zu einer gewissen Stütze des Reformprozesses geworden waren. „Wenn sie angenommen werden, würde das Land eine schwache Regierung bekommen, egal wer sie anführt. Die gesamte Struktur der Exekutive wäre beschädigt und die Reformen in Frage gestellt“, hatte der Präsident kurz zuvor gewarnt.

So gab es denn auch wütende Reaktionen aus dem Jelzinlager. Sein Sprecher Kostikow brachte die altbekannten Drohungen ins Spiel. Der Präsident, meinte er, spiele durchaus mit dem Gedanken, die Verfassung außer Kraft zu setzen und eine Präsidentialherrschaft zu verhängen. „Der Kongreß treibt den Präsidenten zu der Notwendigkeit, ein Referendum abzuhalten, um den Kongreß aufzulösen“, meinte Kostikow. Dazu wäre ein Drittel der Stimmen des Volksdeputiertenkongresses nötig oder eine Million Unterschriften.

Bisher schreckte Jelzin davor zurück, weil er nicht die grassierenden Befürchtungen vor einer zunehmend autoritären Führung in bestimmten politischen Kreisen Rußlands nähren wollte.

Unter der bisherigen Verfassung bliebe die Regierung ohnehin noch zwei Monate im Amt – genug Zeit, um noch andere Lösungsmöglichkeiten zu finden. Doch das letzte Wort ist auch auf dem Volksdeputiertenkongreß nicht gefallen. Beim vorigen Kongreß gab es einen vergleichbaren Angriff auf die Regierung, den er nachträglich zu korrigieren suchte. Wenn es zu keinem Kompromiß kommen sollte, wird Jelzin sicherlich den Weg einschlagen, den Kongreß aufzulösen. Präsidentiale Herrschaft würden die vom Chaos ermüdeten Russen sowieso begrüßen. Dessen kann er sich sicher sein. Klaus-Helge Donath