Bernd Alois Zimmermanns musikalisches Vermächtnis

„Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne“. Unter diesem Motto komponiert Bernd Alois Zimmermann 1970, fünf Tage vor seinem Selbstmord, eine „Ekklesiastische Aktion für zwei Sprecher, Baß und Orchester“.

Was da zuerst wie eine böse Weihnachtsgeschichte anmutete - mit Texten aus dem Buch Salomo und Dostojewskis Großinquisitor - entpuppte sich schnell als ein verzweifeltes Streit-Stück über erschreckendes Fragen nach der Genese des Bösen und dem Sinn utopischen Denkens. Lutz Lansemann und Peter Lieck lasen nicht einfach ihre bedeutungsschweren Texte, sondern spielten mit ihren Stimmen, mit den materiellen Botschaften variationsreich eingesetzter Intonation.

Gerade Lutz Lansemann gelang das, was Zimmermann mit dem Begriff „Lingual“ meint. Er nutzte sein Organ Stimme, um Sprache musikalisch zu machen und ihr gleichzeitig zu entrinnen. Das Philharmonische Staatsorchester unter der Leitung von Gary Bertini reagierte auf dies Angebot nur sporadisch, knapp illustrierend.

Auch die Musik vermag bei Zimmermann eben keine Fragen und Hoffnungen zu beantworten. Einzig die Expressivität der Baß-Stimme, überzeugend transportiert von Andreas Schmidt, brachte musikalische Gesten des Friedvoll-lyrischen wie einen Riß in die Textur der Aktion. Das Thema von der Orientierungslosigkeit und Überheblichkeit des Menschen blieb dennoch konsequent musik-sprachlich wie szenisch durchgestaltet.

Für Zimmermann sind es gerade die übergroßen Hoffnungen, an denen der Mensch irre und krank wird. Diese ausweglose Situation findet ihr musikkonzeptionelles Pendant in der Idee von der Kugelgestalt der Zeit. Auf einer Kugel gibt es keine Zeithierarchien, Musik und Mensch entkommen ihr. Was bleibt, sind allein deutliche Gesten und Versuche, aufzutrumpfen.

Das demonstrierten die drei Darsteller und Gary Bertini gemeinsam. Mit den Füßen aufstampfend, mit den Händen ringend - all das beugte auch den Dirigenten. Sprecher und Bertini nahmen Platz im Schneidersitz.

Das Werk klang aus im Stimmgemurmel über Aufstehen, Küsse, die im Herzen brennen und schließlich verstummte es. Bevor mit Gustav Mahlers 5. Sinfonie wieder Hoffnung geweckt wurde, brach Zimmermanns Stück mit dem Bach- Choral „Es ist genug, Herr“ jäh ab. Katrin Meyer

Noch heute und morgen, Musikhalle, jeweils 20 Uhr