■ Massenvergewaltigungen in Bosnien-Herzegowina
: Alle wollen helfen – aber wie?

Heute findet vor dem Ausschuß „Frauen und Jugend“ des Bundesfrauenministeriums eine öffentliche Anhörung über Massenvergewaltigungen und Vergewaltigungslager im serbisch besetzten Teil von Bosnien-Herzegowina statt. Bundesaußenminister Kinkel beauftragte einen Arzt (sic) des Auswärtigen Amtes mit einer Untersuchung in Zagreb und wies das dortige „Deutsche Büro für humanitäre Hilfe“ an, den Initiativen zur medizinischen und psychischen Betreuung der bosnischen Frauen jegliche Unterstützung zukommen zu lassen.

Noch nie erregten Vergewaltigungen so sehr das Gemüt der bundesrepublikanischen Öffentlichkeit. Ein Grund, innezuhalten und genauer hinzusehen was geschieht, und darüber nachzudenken, was geschehen sollte. Natürlich bin ich über das Engagement von Medien, Frauen- und Außenministerium froh. Frauen, die vergewaltigt wurden und noch dazu auf so brutale Weise, können gar nicht genug Hilfe erhalten, um mit diesem Trauma fertigzuwerden. Was mich jedoch irritiert, ist die Richtung, die das Engagement einzuschlagen droht: Je mehr Vergewaltigungen als „systematische Kriegsstrategie der Serben“ beschrieben werden, desto mehr gerät aus dem Blickfeld, daß Vergewaltigungen in erster Linie sexuelle Verbrechen von Männern an Frauen sind. Und je mehr sich Entsetzen, Mitgefühl und Hilfe auf die nach Kroatien geflüchteten Bosnierinnen konzentrieren, desto mehr geraten diejenigen Frauen, die nach wie vor den Vergewaltigungen ausgesetzt sind, in Vergessenheit. Wenn es jetzt um praktische Maßnahmen und effektive Hilfe geht, muß daher Verschiedenes berücksichtigt werden:

1.Die Politik der ethnischen Säuberung wird zweifellos am brutalsten im serbisch besetzen Teil Bosnien-Herzegowinas umgesetzt. Aber zum einen sind ethnische Säuberungen die furchtbare Konsequenz des Nationalismus in allen Republiken des ehemaligen Jugoslawiens. Zum anderen wurde und wird seit Beginn des Krieges auf allen Seiten vergewaltigt, zehntausendfach, hunderttausendfach – von Soldaten und Freischärlern, von Lagerwächtern und Söldnern, von Nachbarn und ehemaligen Freunden. Die Frauen der SOS- Notrufe in Zagreb und Belgrad berichten, daß immer dann, wenn Bilder von Gewalttaten des jeweilgen Gegners im Fernsehen gezeigt werden, die Kurve der Gewalt gegen Frauen scharf ansteigt. Frauen werden in die Prostitution gezwungen und per Bus in die Kriegsgebiete befördert. „Das Leid kennt keine Nationalitäten“, wie Heidi Hecht in der Süddeutschen schrieb, eine Journalistin, die es wagt, auch über das Elend serbischer Flüchtlinge und vergewaltigter Serbinnen zu berichten. Daß Frauen auf allen Seiten vergewaltigt werden, daß Vergewaltigungen in allen Kriegen als Waffe eingesetzt werden, paßt nicht in das vorherrschende Freund-Feind-Bild. Zudem könnte die Anerkennung dieser Tatsache zu schmerzhaften Schlußfolgerungen führen:

–daß Kriegsvergewaltigungen die grausame Zuspitzung der auch in Friedenszeiten weltweit ausgeübten Gewalt gegen Frauen sind;

–daß das ungehemmte Austoben der Krieger auf dem Körper der Frauen seine Legitimation in der landläufigen Ansicht findet, Vergewaltigungen seien Kavaliersdelikte;

–daß Krieg und Gewalt überhaupt mit einem vorherrschenden destruktiven Männlichkeitskonzept zusammenhängen.

Die Gelder, die demnächst so reichlich fließen werden, müssen zur Betreuung und Hilfe aller vergewaltigten Frauen jenseits von Nationalität und Ethnie in allen Republiken eingesetzt werden. Sonst tragen wir durch noch so wohlgemeinte Hilfe dazu bei, daß die vergewaltigten Frauen als Instrument nationalistischer Kriegspropaganda mißbraucht werden, und die ist in Kroatien keineswegs geringer als in Serbien. Abgesehen davon sind auch 30.000 muslimische Männer und Frauen nach Serbien geflüchtet.

2.Die staatlichen Behörden in Kroatien und Serbien zeigten bislang wenig Interesse daran, den vergewaltigten Frauen zu helfen. Die Initiative ging wie überall in der Welt von Frauengruppen aus. Jegliche Unterstützung muß daher auch diesen Frauengruppen zufließen. Ihr Engagement garantiert, daß die Gelder in keinen dunklen Kanälen versickern. Vor allem aber wäre es fatal, wenn die weitere Betreuung der vergewaltigten Frauen in Kroatien in die Hände der Regierung übergehen würde. In deren Schublade liegt nämlich bereits ein „Konzept zur geistigen und demographischen Erneuerung Kroatiens“, das kinderlose Frauen zu Nicht-Frauen erklärt und der Abtreibung als „Anti-Lebensmentalität“ den Kampf ansagt. Viele vergewaltigte, schwangere Frauen sind bereit, zu den verzweifelsten Mitteln zu greifen, um Abtreibungen und Frühgeburten einzuleiten. Die Frauen müssen sich frei für einen Abbruch der Schwangerschaft entscheiden können!

3.Die Spenden, die Unterstüzung oder Neueinrichtung von Frauenhäusern und Krisenzentren in Zagreb und Belgrad erreichen nur die Frauen, deren Leben zumindest in Sicherheit ist. Was ist mit den Frauen, die weiterhin den Vergewaltigungen ausgesetzt sind? Was ist mit den Hundertausenden von Frauen und Männern, die verhungern oder erfrieren werden in diesem Winter? Die Initiativen, die im Zusammenhang mit den Vergewaltigungen von PolitikerInnen jetzt ergriffen wurden, scheinen alle eines auszuschließen: Die Grenzen zu öffnen, das nackte Leben so vieler Menschen wie möglich zu retten, indem wir sie hereinlassen. Um nichts anderes aber geht es. Muß sich die Geschichte wiederholen? Wie viele von denen, deren Elend wir lautstark beklagen, könnten wohl Platz finden in den europäischen Klöstern der katholischen Kirche, oder auch im Vatikan? Tausende von muslimischen Frauen und Männern, die unter dem Dach der Kirche Schutz fänden vor christlichen Heeren (welcher Couleur auch immer) ... was für eine Vision! Wie viele könnten in den Palästen der Reichen im Westen Europas untergebracht werden, bis dieser Krieg endlich ein Ende hat? Das Einfachste war schon immer das Schwierigste.

Aber wenn sich den Flüchtlingen schon nicht die Paläste öffnen, dann müssen es eben die Hütten sein: Laut Innenministerkonferenz vom 22.5.92 können Flüchtlnige aus Bosnien-Herzegowina hier aufgenommen werden, sofern sich GastgeberInnen für sie finden, die ihnen Obdach und Lebensunterhalt gewähren. Zumindest in Nordrhein-Westfalen werden darüber hinausgehende Kosten zum Beispiel im Krankheitsfall vom Land übernommen. Die GastgeberInnen besorgen sich beim zuständigen Ausländeramt eine „Ausländerbehördliche Bescheinigung“, in der neben den Personalien von BesucherInnen und Besuchten auch die Dauer des Besuchs eingetragen wird. Mit diesem Papier erhält der Gast in der deutschen Vertretung in Zagreb ein Besuchsvisum. gleichzeitig dient dieses Papier aber auch der Überwindung der bosnisch-kroatischen Grenze. Sollte es am Ende des Besuchs Schwierigkeiten mit der gefahrlosen Rückkehr an den Wohnort geben, erhalten die Gäste bis zum Ende des Krieges Bleiberecht. Die Mindestgrenzen der Besuchszeit und damit der Zeitraum der Verpflichtung der GastgeberInnen sind in den einzelnen Bundesländern unterschiedlich festgesetzt. Ein Bündnis von Menschenrechts-, Friedens- und Frauengruppen bereitet gegenwärtig entsprechende Maßnahmen vor, um aufnahmebereiten BürgerInnen mit Rat, Tat, Tips und Adressen zur Seite zu stehen. Gabi Mischkowski

Die Autorin gehört dem internationalen Frauendialogprojekt „Scheherazade“ an.