Frauen auf dem Land zwangsmotorisiert

■ Immer weniger Läden und Buslinien/ Verkehrsplaner denken im Megamaßstab

Neubeckum (taz) – Als erstes kommen morgens die Kinder dran. Auf dem Weg zur Arbeit bringt Kerstin B. sie zur Schule. Kerstin B. arbeitet halbtags. Sie lebt mit ihrer Familie in einem Dorf bei Münster. Zwei Autos sind einfach nötig – denn im Dorf gibt es schon lange keinen Laden mehr, die Post hat ihre Schalterstelle geschlossen, Schule und Kindergarten liegen in der Stadt. Egal ob die Kinder nachmittags zum Spielplatz oder zu FreundInnen wollen – Kerstin B. und der Zweitwagen müssen her. Egal ob die Schwiegermutter zum Arzt muß, ob Milch und Mehl fehlen, ob Theaterbesuch oder Volkshochschulkurs – Kerstin B. springt ins Auto. Ohne fahrbaren Untersatz wäre es nicht zu schaffen. Die paar Busse, die täglich den Ort anfahren, die Umsteigerei, das Gewiggele mit dem Kinderwagen und nächtliches Warten in der Dunkelheit haben Kerstin B. schon früh das Busfahren verleidet.

„Auf dem Land sind Frauen ohne Auto regelrecht ,eingesperrt‘“, war denn auch ein Fazit der Tagung „Mobilität von Frauen im ländlichen Raum“. Ausgerichtet vom „Verkehrsclub Deutschland“ trafen sich letzten Freitag rund 50 Fachfrauen und einige -männer im passenden Ambiente eines Landgasthofs in Neubeckum. Gerade auf dem Land veränderte sich die Lebens- und Arbeitswelt von Frauen seit den 60er Jahren enorm. Allein die Zahl der Lebensmittelläden hat sich von 1960 bis 1980 halbiert. Schulen und Lehrstellen liegen in der Regel in den Städten. „Vor allem für Frauen“, meinte Katja Striefler, Gleichstellungsbeauftragte im Kommunalverband des Großraums Hannover, „ist das Pendeln zur Lebensweise geworden“, denn an ihre Mobilität werden immer höhere Anforderungen gestellt. Da der öffentliche Nahverkehr vor allem auf dem Land jedoch immer weiter abgebaut wird, bleibt Frauen zu guter Letzt nur das Auto, um sich bewegen zu können.

Sowohl die Emma als auch die Automobilindustrie möchten am liebsten jedem Weibe den fahrbaren Untersatz verpassen, um so angeblich die „Emanzipation“ voranzutreiben. Doch gegen solche „feministischen Spitzfindigkeiten“ wehrt sich Meike Spitzner, Mitarbeiterin des Wuppertaler Instituts für Klima, Umwelt und Energie, massiv. Das Auto als Ersatz für gesellschaftliche Veränderungen ist ihr suspekt. Sie setzt auf autounabhängige Mobilität, auf öffentliche Verkehrsmittel, Radfahren und zu Fuß gehen. Immerhin sind zwei Drittel aller Fahrgäste in Bus und Straßenbahn Frauen. Als Verkehrsteilnehmerinnen werden vor allem sie diskriminiert. Lärm und Gestank, lange Wartezeiten und Umwege, die Verbannung unter die Erde in die U-Bahn oder fehlender Platz durch parkende Autos machen ihnen den Alltag schwer.

An den alltäglichen Bedürfnissen von Frauen orientiert sich kein Verkehrsplaner, denn dem männlichen Prototyp dieser Spezies mangelt es an der nötigen Alltagserfahrung. Er setzt auf die Technik. Geschwindigkeit und die Überwindung großer Entfernungen zählen. Die Deutsche Bundesbahn allen voran: da werden 100 Millionen in die Entwicklung des Transrapid gesteckt, da wird geworben mit dem schnellen Einkaufsbummel. Die Bahn macht's möglich: morgens in Frankfurt in den Zug steigen, Shopping in Hamburg, abends zurück. Fragen des Alltags, der kleinen Wege, der Besorgungen haben bei so viel Machbarkeits- und Mobilitätswahn keine Chance.

Um den Herren im Rathaus den Alltag vieler Frauen nahezubringen, schickte das Frauenamt in Frankfurt/Main sieben männliche Stadtprominente, ausgestattet mit einem Kinderwagen und dem Sozialhilfesatz für eine vierköpfige Familie, zum Einkauf. Selbst der Chef der Frankfurter Verkehrsbetriebe war anschließend beeindruckt, wie schwer es ist, mit einem Kinderwagen in den Bus zu steigen. Karin Flothmann