: Vom Altstalinisten bis zum Stasi-Jäger
Die „Komitees für Gerechtigkeit“ suchen nach einem Grundkonsens und einer Organisationsstruktur/ Prominente auf dem Rückzug/ Drittes bundesweites Treffen in Berlin ■ Aus Berlin Wolfgang Gast
Die mehrstündige Debatte kann den Delegierten aus Hildburghausen nicht umstimmen: Auch wenn alle davon reden, er mag nicht daran glauben, daß es zu Hause, in seinem Komitee für Gerechtigkeit, so etwas wie einen politischen Grundkonsens gibt. Wie soll das auch gehen, wenn, wie er etwas flapsig formuliert, sich Leute darin organisiert haben — „vom Altstalinisten bis zum passionierten Stasi-Jäger“? Jeder, fährt er fort, hält doch „den eigenen Mist für Gerechtigkeit“. Leute hat er vor Augen, die „ihre Privilegien wiederhaben wollen, die das für Gerechtigkeit halten“. Er denkt aber auch an die Grüne Partei, die noch zu DDR-Zeiten gegründet wurde, nun aber „futsch“ ist, weil sie sich nicht mit Inhalten, sondern mit der Organisationsfrage beschäftigte. Ein Schicksal, das auch die Komitees treffen könnte: Es werde zwar diskutiert und diskutiert, doch die Leute vor Ort würden von all dem nichts erfahren.
Allen Unkenrufen zum Trotz — es gibt sie noch, die Komitees für Gerechtigkeit. Seit der spektakulären Gründungsversammlung im Juli ist es aber still um das Projekt geworden, das von den Prominenten verschiedenster Couleur — vom Pfarrer Heinrich Albertz bis zum Schriftsteller Gerhard Zwerenz, vom PDS-Chef Gregor Gysi bis zum CDU-Dissidenten Peter- Michael Diestel — aus der Taufe gehoben wurde. Die Figuren des öffentlichen Lebens, die zur Gründung den Komitees die nötige Aufmerksamkeit vermittelt hatten, lassen sich seither kaum bei den Gruppen blicken.
Auch am Samstag, beim dritten bundesweiten Treffen, sind von den knapp 70 Intellektuellen, die den Aufruf für eine authentische Vertretung der ostdeutschen Bundesbürger unterzeichneten, nicht einmal zehn anwesend. Den Weg in die frühere Zentrale der Ost- CDU am Berliner Gendarmenmarkt finden unter anderem der Vorsitzende des Arbeitslosenverbandes, Klaus Grehn, der Schriftsteller Stefan Heym, die Rockmusikerin Tamara Danz und der frühere Rektor der Berliner Humboldt-Universität, Heinrich Fink. Rund 90 Delegierte repräsentieren 40 der insgesamt 68 Komitees. Sechstausend Mitglieder hat die Komiteebewegung nach Angaben des Berliner Koordinierungsbüros, wie weit diese aber aktiv sind, weiß keiner recht zu sagen.
Kleine Erfolgsmeldungen bestimmen das Bild: etwa die über die mehr als 42.000 gesammelten Unterschriften, mit denen in Sachsen-Anhalt das Komitee, die PDS und der Deutsche Mieterbund eine Volksinitiative gegen unsoziale Mieten initiieren. Auch auf der Insel Rügen war das örtliche Komitee erfolgreich: Über 12.000 protestierten gegen die im Landtag beschlossene Gebietsreform, die Komunalpolitiker schlossen sich schließlich dem Bürgerprotest an. Ähnliches gilt für Parchim. Dort sah sich der Stadtrat gezwungen, sich einem Protest gegen die Schließung der einzig verbliebenen Lebensmittelverkaufsstelle anzuschließen. Beim Bundestreffen wird auch eine Protesterklärung gegen Sachsens Wissenschaftsminister Hans-Joachim Meyer verabschiedet, der via schwarze Listen die Hochschulen des Freistaates säubern läßt. Für eine Leipziger Delegierte ein klarer Rechtsverstoß: „Die Verfassung ist noch nicht einmal ein halbes Jahr alt, da wird schon auf sie geschissen.“
Gesucht wird eine Organisationsform, die über die zukünftigen Inhalte der Komitees wohl entscheiden wird. Einigkeit herrscht, die Autonomie der lokalen Komitees als „unantastbares Gut“ zu verteidigen. Darüber hinaus gehen die Vorstellungen aber weit auseinander. Die Komiteebewegung versucht den Spagat zwischen „lokaler Verwurzelung“ auf der einen und der Beschäftigung mit „zentralen Themen mit überregionaler Bedeutung“ auf der anderen Seite. Die „Frage von Form und Inhalt“ (Stefan Heym) wurde letzlich vertagt, auf einen Bundeskongreß, den die Delegierten beschlossen und der im Frühjahr 1993 stattfinden soll.
Völlig neue Aufgaben sieht Stefan Heym auf die Komitees zukommen. Angesichts des wachsenden Neonazismus und der zunehmenden Brutalisierung sei es „höchste Zeit, daß Gegenkräfte organisiert werden“. Gegenkräfte, die sich auch gegen die Bonner Regierung richten müßten. Sei doch diese für die gegenwärtigen Zustände mitverantwortlich.
Ein wunder Punkt der Komitees bleibt ihre Finanzierung. Peter-Michael Diestel sorgt für geringfügige Abhilfe. Kostenlos überläßt er den Veranstaltern 60 Exemplare der Biographie „D wie Diestel“. Die verkaufen den 1990 erschienenen Ladenhüter für fünf Mark das Stück, auf Wunsch signiert Diestel. Einnahme: 270 Mark.
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