„Fünf vor zwölf“ kann schon zu spät sein

■ „Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen“ mobilisiert gegen Karlsruhe

„Wir sind die Mehrheit!“ lautete das Motto der Kundgebung gegen eine Strafrechtsreform des Paragraphen 218, zu der die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Frauen (ASF) am Sonntag um „Fünf vor Zwölf“ in den Kölner Wartesaal geladen hatte. Doch vielen der zirka 300 anwesenden Frauen und Männern war ohnehin klar, daß diese Veranstaltung einige Monate zu spät kam, und zwei Tage vor der Verhandlung des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe nicht mehr verhindern kann, daß sieben Richter und eine Richterin über einen Reformvorschlag entscheiden, hinter den sich nach zähem Ringen die Mehrheit von Bundestag und Bundesrat gestellt hat.

Der Appell der SPD-Frauen an das Verfassungsgericht fordert das Recht auf eine selbstbestimmte Schwangerschaft und eine eigenverantwortliche Entscheidung der Frau.

„Fünf vor Zwölf“ machten sich auch linke Frauen Luft, die eine im „Schwangeren- und Familienschutzgesetz“ vorgesehene Beratungspflicht ohnehin nur zähneknirschend akzeptiert hatten.

Eine Gruppe von SPD- und Gewerkschaftsfrauen aus den neuen Ländern warnte davor, daß angesichts der bundesrepublikanischen Bevormundung der Frau die Frauen im Osten schon fast in eine DDR-Nostalgie verfallen könnten.

Heike Ott vom Verband alleinstehender Frauen forderte: „Jedes Kind hat das Recht, erwünscht zu sein.“

Doch auch leidenschaftliche Appelle konnten nicht verhindern und können jetzt schon gar nicht darüber hinwegtäuschen, daß statt der betroffenen Frauen in Karlsruhe bekennende „Lebensschützer“ wie der Zivilrechtsprofessor Rolf Stürner als Gutachter gehört wurden.

So entlud sich die Wut der Juristinnen, Ärztinnen, Parlamentarierinnen und Feministinnen am Sonntag in Köln zum Teil auch in gegenseitigen Schuldzuweisungen und Grabenkämpfen.

Wollte die grüne Europaparlamentarierin Eva Quistorp dem ach so katholischen Verfassungsrichter Böckenförde noch ihre Forderungen als praktizierende Protestantin entgegensetzen, so erntete Alice Schwarzer heftige Kritik der SPD-Frauen, als sie zu bedenken gab, daß der als nicht befangen eingestufte „Lebensschützer“ Böckenförde schließlich auf SPD-Ticket fahre.

„Unsere erklärten Feinde Waigel&Co. haben uns nie was vorgemacht“, rief Alice Schwarzer gegen die Protestrufe an, „aber diese Reform wird an denjenigen scheitern, die in der SPD das Sagen haben.“

Anne-Beatrice Clasmann